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Des Teufels Maskerade

Des Teufels Maskerade

Titel: Des Teufels Maskerade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlederer Victoria
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1909
    Ctirad ist mir begegnet. Ich sah ihn heute Vormittag die Bibliothek verlassen, tief ins Gespräch vertieft mit drei mir unbekannten Studenten. Einem jähen Impuls nachgebend, beschloss ich, Collegium Collegium sein zu lassen, und mich an seine Fersen zu heften. Vielleicht ließe sich dadurch ein wenig mehr über diese faszinierende Figur in Erfahrung bringen. Bis zum »Goldenen Stern«, wo die vier
Herrschaften einkehrten, folgte ich ihnen, brachte eine lange Viertelstunde vor dem Kaffeehaus zu, ehe ich Ctirad, diesmal allein, ins Freie treten sah. Rasch wollte ich mich um die nächste Ecke flüchten, doch zu spät! Er hatte mich gesehen.
    »So kommen Sie schon herein«, sagte er mit freundlichem Spott. »Es scheint mir noch empfindlich kühl, um allzu lange auf der Straße herumzustehen.«
    Ich spürte, wie sich meine Wangen in Scham und Verlegenheit röteten, und stammelte eine Entschuldigung.
    Mit den Worten »Nichts geschehen! Verständlicherweise sind Sie neugierig, mein Freund«, fasste er mich am Arm und führte mich an den Ecktisch des verrauchten kleinen Kaffeehauses, wo ich seinen Begleitern vorgestellt und wie selbstverständlich in die Diskussion mit einbezogen wurde. Auch diesmal drehte die Unterhaltung sich um die Zukunft Böhmens, und Ungeschicklichkeit und Unvermögen des nationalen Lagers. Ich äußerte meine Überzeugung, dass das schwach gewordene Kaiserreich immer deutlicher auf seinen Niedergang zusteuerte. Bald schon würde das alte Österreich einer Revolution in den böhmischen Landen nichts mehr entgegenzusetzen haben.
    Die drei anderen Studenten pflichteten mir lautstark bei, und Ctirad lächelte ganz eigentümlich, als hätte ich eine große Weisheit ausgesprochen. »Ich habe den Eindruck, Sie ähneln Ihren Bundesbrüdern nicht sonderlich«, sagte er mir, als wir uns am frühen Nachmittag verabschiedeten. »Jenen genügt es, zu theoretisieren und sich in Posen zu ergehen, Sie aber wollen handeln.«
    Ich schwieg, fürchtete mich, ihm zuzustimmen.
    »Wenn Sie mehr für Böhmens Freiheit tun möchten, als schöne Reden zu führen, kommen Sie übermorgen um acht Uhr abends in das Gasthaus bei der Rozhledna, am Petřín.«
    So ging er davon. Ich spürte ihm nicht weiter nach.

     
    18. März 1909
    Was soll ich tun? Drei Stunden noch, und ich bin unentschlossener, als jemals zuvor in den letzten beiden Tagen. Darf ich ihm trauen? Darf ich daran glauben, dass auf wunderbare Weise ein Mann der Tat, ein Mann von Verstand beschlossen hat, sich der böhmischen Anliegen anzunehmen? Die Vernunft gebietet mir, auf der Hut zu sein; ebenso gut könnte er für die Statthalterei, für das Polizeipräsidium arbeiten, danach trachten, potenzielle Unruhestifter hinter Schloss und Riegel zu bringen, und doch … Ich habe das Leuchten in seinen Augen gesehen, als er von der Freiheit sprach.
    Gott helfe mir, ich muss es wissen.
     
     
    19. März 1909
    Ein Scherz! Einen unwürdigen, bösartigen Scherz hat er sich mit uns erlaubt! Fast wünschte ich, er hätte uns – die Aufrührer von morgen – mit einem Gendameriekorps an seiner Seite in Empfang genommen; von Verrätern wenigstens weiß man sich ernst genommen. Er aber, er hat uns lächerlich gemacht!
    Eine überraschend große Runde hatte sich im Extrazimmer des Gasthofs eingefunden; sah man von zwei Ausnahmen ab – einem Herrn, der sich als vormaliger Journalist der »Narodni Politika« zu erkennen gab, und einem weißbärtigen Dichter –, setzte die Gesellschaft sich ausschließlich aus jungen Herren zusammen. Kein Mitglied meiner Corporation war anwesend, wohl aber die drei Studenten der Jurisprudenz, mit denen ich im »Goldenen Stern« debattiert hatte. In angespannter Erwartung vertrieb man sich die Zeit mit Vorstellungen und Anekdoten, bis endlich Ctirad erschien. Nachdrücklich zog er die Tür hinter sich zu.
    »Meine Herren«, begann er, ohne sich mit einem Grußwort aufzuhalten. »In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mich viel umgetan in dieser Stadt: Träumer, Idealisten, Männer voll Tatendrang und Mut, Krieger und Denker lassen sich zuhauf finden
in Prag. Aber wie wenige vermögen diese Charakteristika in einer Person zu vereinen.« Langsam schlenderte er um den Tisch herum und zum ersten Mal fiel mir auf, wie klein, wie schmächtig er eigentlich war. »Sie, meine Herren, Sie alle träumen von einem souveränen Böhmen. Aber Ihr Vertrauen in die Herrschaften der Politik, der Staatskunst, die sich der Frage anzunehmen

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