Des Teufels Novize
Schrei, und in seinem Zorn richtete er Kopf und Schultern hoch über den gedrungenen, stämmigen Cadfael auf.
»Das will ich nicht anhören! Eine Unterstellung! Es ist unmöglich!«
»Unmöglich bei Eurem Erben und Liebling, doch sofort glaubwürdig bei seinem Bruder? In dieser Welt sind alle Menschen fehlbar, und alle Dinge sind möglich.«
»Doch ich sage Euch, daß ich ihn sah, wie er diesen toten Mann versteckte und wie er dabei schwitzte. Wenn er ihn unschuldig gefunden hätte, dann hätte er keinen Grund gehabt, den Toten zu verstecken, sondern hätte laut um Hilfe gerufen.«
»Nicht, wenn er zufällig auf jemand stieß, der ihm teuer war wie ein Bruder oder Freund, und der eben diese Schreckenstat vollbracht hatte. Wenn Ihr glaubt, was Ihr saht, warum soll dann nicht auch Meriet glauben, was er sah? Ihr habt Eure eigene Seele ins Verderben gestürzt, um das zu decken, was er, wie Ihr glaubt, getan hat – warum sollte er nicht dasselbe für einen anderen tun? Ihr verspracht ihm Schweigen und Vertuschen, doch es hatte seinen Preis. Und dieser Schutz für ihn war ebenso ein Schutz für einen anderen – nur, daß der Preis in jedem Fall von Meriet gefordert wurde. Und Meriet wehrte sich nicht dagegen. Er zahlte ihn aus eigenem Willen – und das war kein bloßes Hinnehmen Eurer Bedingungen, sondern er wünschte es und versuchte, darüber froh zu sein, denn das gab einem Menschen, den er liebte, die Freiheit. Kennt Ihr einen anderen Menschen, den er liebt wie seinen Bruder?«
»Das ist verrückt!« sagte Leoric keuchend wie ein Mann, der sich halb zu Tode gerannt hat. »Nigel war den ganzen Tag bei den Lindes, Roswitha kann es bestätigen, und Janyn auch. Er hatte bei dem Mädchen eine Entgleisung gutzumachen; er ging früh am Morgen zu ihr und kam erst spät am Abend zurück. Er wußte nicht, was an diesem Tag vorging, doch er war entsetzt, als er es hörte.«
»Vom Gut der Lindes bis zu diesem Ort im Wald ist es zu Pferd kein weiter Weg«, sagte Cadfael erbarmungslos. »Was, wenn Meriet ihn mit Clemence’ blutender Leiche beschäftigt sah und zu ihm sagte: Geh, entferne dich und überlaß das mir – geh und laß dich den ganzen Tag woanders sehen. Ich will tun, was getan werden muß. Was wäre dann?«
»Wollt Ihr damit wirklich sagen«, verlangte Leoric mit rauhem Flüstern zu wissen, »daß Nigel den Mann tötete? Ein solches Verbrechen gegen die Gastfreundschaft, gegen einen Verwandten, gegen seine Natur?«
»Nein«, sagte Cadfael. »Doch ich sage, daß es vielleicht wahr ist, daß Meriet ihn so fand, genau wie Ihr Meriet fandet.
Warum sollte, was für Euch ein so deutlicher Beweis war, für Meriet weniger überzeugend gewesen sein? Hatte er nicht allen Grund zu der Annahme, daß sein Bruder schuldig war? Er fürchtete, daß er schuldig war, oder nicht weniger schrecklich, daß er unschuldig überführt werden konnte. Denn vergeßt nicht, wenn Ihr bei einem solchen Anblick irren könnt, dann kann es auch Meriet. Denn die fehlenden sechs Stunden liegen mir immer noch im Magen, und ich weiß noch nicht, wie ich sie erklären soll.«
»Ist es möglich?« flüsterte Leoric erschüttert und verwundert.
»Habe ich ihm solches Unrecht angetan? In Gottes Namen, was sollen wir tun, um wiedergutzumachen, was noch gutgemacht werden kann?«
»Ihr müßt, denke ich, zu Abt Radulfus’ Essen gehen«, sagte Cadfael, »und ein so fröhlicher Gast sein, wie er erwartet, und morgen müßt Ihr wie geplant Euren Sohn verheiraten. Wir tappen immer noch im Dunkeln, und wir können nichts tun als auf die Erleuchtung warten. Denkt über meine Worte nach, doch sprecht mit niemandem sonst darüber. Noch nicht. Laßt ihnen einen friedlichen Hochzeitstag.«
Doch er war in diesem Augenblick schon sicher, daß der Tag nicht friedlich werden würde.
Isouda fand ihn in der Hütte im Herbarium. Er sah sie kurz an, vergaß sein Brüten und lächelte. Sie trug die schlichten, feinen Kleider, die sie für das Essen mit einem Abt für angemessen hielt. Als sie das Lächeln und das Strahlen in Cadfaels Augen bemerkte, entspannte sie sich, zeigte ihr schalkhaftes Grinsen und nahm die Kapuze ab, damit er sie bewundern konnte.
»Meint Ihr, das geht so?«
Ihr Haar, zu kurz für einen Zopf, wurde über der Stirn von einem bestickten Band von genau der Art gehalten, wie Meriet es in seinem Bett im Dormitorium versteckt hatte, um im Nacken als dicke, lockige Mähne herunterzufallen. Ihr Überkleid war ein tiefblauer Überwurf, der an
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