Des Todes Dunkler Bruder
Tüte und warf sie mir an den Kopf.
»Verdammt, Dexter«, fluchte sie. »Du weißt verdammt gut, dass ich es verdient habe, zur Mordkommission versetzt zu werden. Stattdessen …« Sie ließ ihren BH-Träger schnalzen und wies auf ihre spärliche Bekleidung. »Diese Scheiße.«
Ich nickte. »Obwohl sie dir gut steht«, bemerkte ich.
Sie zog eine grauenhafte Grimasse: Wut und Ekel kämpften um den verfügbaren Platz. »Ich hasse es«, sagte sie. »Ich schwöre, wenn ich das noch viel länger machen muss, werde ich wahnsinnig.«
»Es ist noch ein wenig früh, so schnell kann ich die ganze Angelegenheit nicht klären, Deb.«
»Scheiße«, sagte sie. Was man auch sonst über die Polizeiarbeit sagen mochte, sie ruinierte Debs Vokabular.
Sie bedachte mich mit einem kalten, harten Cop-Blick, dem ersten, den sie jemals auf mich gerichtet hatte. Es war Harrys Blick, die gleichen Augen, das gleiche Gefühl, dass sie direkt durch dich hindurch die Wahrheit sahen. »Verarsch mich nicht, Dex«, warnte sie. »Bei jedem zweiten Fall musst du nur einen Blick auf die Leiche werfen und weißt, wer es getan hat. Ich habe dich nie gefragt, wie du das machst, aber wenn dir bei diesem hier irgendeine Eingebung gekommen ist, dann will ich das wissen.« Sie trat wütend gegen meinen Tisch und hinterließ eine kleine Delle. »Gottverdammt, ich will raus aus diesen blöden Klamotten.«
»Und wir sehnen uns alle nach diesem Anblick, Morgan«, erklang eine dunkle, aufgesetzt wirkende Stimme im Türrahmen hinter ihr. Ich schaute hoch. Vince Masuoka lächelte zu uns herein.
»Du könntest doch gar nichts damit anfangen, Vince«, schoss Deb zurück.
Er lächelte noch breiter, dieses strahlende, aufgesetzte Bilderbuchlächeln. »Warum versuchen wir es nicht einfach?«
»Und wovon träumst du nachts?«, erwiderte Deb und zog dabei einen Schmollmund, den ich seit ihrem zwölften Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte.
Vince wies mit dem Kopf auf die zerknüllte weiße Tüte auf meinem Schreibtisch. »Du warst an der Reihe, Kumpel. Was hast du mir mitgebracht? Wo ist es?«
»Tut mir Leid, Vince«, entschuldigte ich mich. »Debbie hat deinen Berliner inhaliert.«
»Schön wär’s«, sagte er mit seinem aufgesetzten lüsternen Grinsen. »Dann könnte ich an ihren Drops lutschen. Du schuldest mir einen Riesendoughnut, Dex.«
»Der einzige Riese, den du jemals haben wirst«, spottete Deb.
»Was zählt, sind die Fähigkeiten des Bäckers und nicht die Größe des Doughnuts«, versicherte ihr Vince.
»Bitte«, flehte ich. »Ihr holt euch noch eine Stirnlappenzerrung. Es ist zu früh, um so clever zu sein.«
»Ah-ha«, sagte Vince mit diesem furchtbaren aufgesetzten Lachen. »Ah-ha ha-ha. Bis dann.« Er zwinkerte mir zu. »Denk an meinen Doughnut.«
»Also was hast du bis jetzt herausgefunden?«, fragte Deb.
Deb glaubte, dass mich hin und wieder Ahnungen heimsuchten. Sie hatte Grund dazu. Gewöhnlich hingen meine genialen Eingebungen mit brutalen Schlägern zusammen, die alle paar Wochen zum Vergnügen ein paar arme Penner aufmischten.
Einige Male schon hatte Deborah erlebt, wie ich rasch meinen sauberen Finger auf die Stelle legte, die alle anderen übersehen hatten. Sie hatte niemals etwas dazu gesagt, aber meine Schwester ist ein verdammt guter Cop, und so ist sie schon seit einiger Zeit mir gegenüber misstrauisch. Sie weiß nicht warum, aber sie weiß, dass etwas nicht stimmt, und hin und wieder macht sie sich deswegen ernsthaft Gedanken, denn trotz allem liebt sie mich. Das letzte lebendige Wesen auf Erden, das mich liebt. Das ist kein Selbstmitleid, sondern klare, kühle Selbsterkenntnis. Ich bin nicht liebenswert. Harrys Plan folgend habe ich versucht, mich auf andere Menschen einzulassen, auf Beziehungen und sogar – in meinen närrischeren Momenten – auf Liebe. Aber es funktioniert nicht. In mir ist etwas zerbrochen oder fehlt ganz, und früher oder später kommt mir die andere Person auf die Schliche oder es kommt wieder eine dieser Nächte.
Ich kann nicht einmal Haustiere halten. Tiere verabscheuen mich. Einmal habe ich mir einen Hund gekauft; er bellte und jaulte zwei Tage lang in permanenter, unsinniger Wut – mich an –, bevor ich mich seiner entledigen musste. Ich versuchte es mit einer Schildkröte. Ich streichelte sie einmal; danach wollte sie nicht wieder aus ihrem Panzer hervorkommen, und nach ein paar Tagen starb sie. Sie starb lieber, als sich von mir anschauen oder berühren zu lassen.
Niemand sonst liebt mich
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