Des Todes Dunkler Bruder
oder wird es jemals tun. Nicht einmal – besonders nicht – ich. Ich weiß, was ich bin, und dieses Ding kann man nicht lieben. Ich stehe allein in der Welt, ganz allein, abgesehen von Deborah. Und natürlich abgesehen von dem Ding in meinem Inneren, das nicht allzu oft zum Spielen herauskommt. Und auch nicht wirklich mit mir spielt, sondern jemand anderen dazu braucht.
Und so gut ich es vermag, kümmere ich mich um sie, um die liebe Deborah. Es ist vermutlich keine Liebe, aber ich ziehe es vor, sie glücklich zu sehen.
Und hier saß sie, die liebe Deborah, und schaute unglücklich drein. Meine Familie. Starrte mich an und wusste nicht, was sie sagen sollte, war aber näher als jemals zuvor daran, etwas zu sagen.
»Nun«, sagte ich. »Eigentlich …«
»Ich wusste es! Du hast DOCH etwas.«
»Du darfst meine Trance nicht stören, Deborah. Ich habe Kontakt zum Reich der Geister.«
»Spuck’s aus«, sagte sie.
»Es geht um dieses abgebrochene Zerlegen, Deb. Das linke Bein.«
»Was ist damit?«
»LaGuerta glaubt, dass der Killer gestört wurde, nervös wurde, seine Arbeit nicht zu Ende gebracht hat.«
Deborah nickte. »Gestern Abend hat sie mich angewiesen, die Nutten zu befragen, ob sie etwas gesehen haben. Es muss jemanden geben.«
»O nein, du nicht auch noch«, stöhnte ich. » Denk nach, Deborah. Falls er gestört wurde – zu viel Angst hatte, um weiterzumachen …«
»Die Verpackung«, platzte sie heraus. »Er hat trotzdem eine Menge Zeit aufgewendet, um die Leiche zu verpacken und sauber zu machen.«
Sie sah überrascht drein. »Scheiße. Nachdem er gestört worden war?«
Ich klatschte in die Hände und strahlte sie an. »Bravo, Miss Marple!«
»Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Im Gegenteil. Falls genug Zeit bleibt, das Ritual aber nicht vollendet wird – und denk dran, Deborah, das Ritual ist nahezu alles –, was folgern wir daraus?«
»Um Himmels willen, warum sagst du es mir nicht einfach?«, schnappte sie.
»Wo bliebe dann das Vergnügen?«
Sie atmete heftig aus. »Verdammt. Also gut, Dex. Falls er nicht gestört wurde, es aber trotzdem nicht beendet hat … Scheiße. Das Einwickeln war wichtiger als das Zerlegen?«
Ich bekam Mitleid mit ihr. »Nein, Deb. Denk nach. Das war die Fünfte nach dem gleichen Muster. Vier linke Beine wurden vollständig zerlegt. Aber jetzt Nummer fünf …« Ich zuckte die Achseln und zog eine Augenbraue hoch.
»Ach, Scheiße, Dexter, woher soll ich das wissen? Vielleicht brauchte er nur vier linke Beine. Vielleicht … keine Ahnung. Ich schwöre bei Gott. Was?«
Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Ich fand es so einleuchtend. »Der Kitzel ist weg, Deb. Etwas stimmt einfach nicht. Es funktioniert nicht. Ein wesentlicher Teil des Zaubers, der es vollkommen macht, ist einfach nicht da.«
»Und das hätte ich mir denken können?«
»Jemand sollte es, meinst du nicht? Und deshalb bremste er sozusagen ab, suchte nach Inspiration und fand nichts.«
Sie runzelte die Stirn. »Also ist er damit durch? Er wird es nicht wieder tun?«
Ich lachte. »O mein Gott, nein, Deb. Ganz im Gegenteil. Wenn du ein Priester wärst und wahrhaft an Gott glaubtest, aber nicht die richtige Art finden könntest, ihn anzubeten, was würdest du tun?«
»Es weiter versuchen«, erwiderte sie. »Bis ich es richtig mache.« Sie blickte mich scharf an. »O Gott. Das glaubst du also? Er wird es bald wieder tun?«
»Es ist nur eine Ahnung«, sagte ich bescheiden. »Ich könnte mich irren.« Aber ich war sicher, dass ich mich nicht irrte.
»Wir sollten uns etwas ausdenken, wie wir ihn dann fassen können«, sagte sie. »Und nicht nach einem Zeugen fahnden, den es gar nicht gibt.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Ich ruf dich nachher an. Tschüs.« Und weg war sie.
Ich zupfte an der weißen Papiertüte. Sie war leer. Genau wie ich: eine glatte, knisternde Oberfläche – und absolut nichts darin.
Ich faltete die Tüte und legte sie in den Papierkorb neben meinem Schreibtisch. Heute Morgen musste einiges an Arbeit erledigt werden, echte, offizielle, polizeiliche Laborarbeit. Ich musste einen langen Bericht tippen, die dazugehörenden Bilder einsortieren, Beweise archivieren. Es war Routinearbeit, ein Doppelmord, der wahrscheinlich nie vor Gericht gehen würde, aber ich habe es gern, wenn alles, was ich anfasse, gut organisiert ist.
Außerdem war dieser Fall interessant. Die Auswertung der Blutspuren war schwierig gewesen; arterielle Blutungen, mehrere Opfer – die sich
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