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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Eigentums-wohnungen gefahren und parkte dort. Er stieg aus und stand zwischen seinem kleinen Laster und einem riesigen Sandhaufen. Einen Augenblick lang sah er sich um, und ich steuerte auf den Randstreifen und stellte den Motor ab. Jaworski starrte den Rohbau an und dann die Straße hinunter zum Wasser. Dann schien er zufrieden und ging in das Gebäude. Ich war ganz sicher, dass er nach einem Wächter suchte. Ich auch. Ich hoffte, dass er seine Hausaufgaben gemacht hatte. In diesen riesigen Superkomplexen fuhr sehr oft ein Wächter in einem Golfwagen herum und sah nach dem Rechten. Das spart Geld, und außerdem sind wir hier in Miami. Bei jedem Projekt wird eine gewisse Materialmenge von vornherein als Schwund eingerechnet. Auf mich wirkte es, als wollte Jaworski dem Bauherrn behilflich sein, diese Quote zu erfüllen.
    Ich stieg aus dem Wagen und warf Paketband und Filetiermesser in eine billige Einkaufstasche, die ich mitgebracht hatte. Ich hatte bereits vorher ein Paar Gartenhandschuhe aus Gummi hineingepackt, außerdem einige Bilder, nichts Besonderes. Nur Lappalien, die ich aus dem Internet heruntergeladen hatte. Ich warf die Tasche über die Schulter und bewegte mich leise durch die Nacht, bis ich zu seinem schmierigen kleinen Laster kam. Die Ladefläche war genauso leer wie das Führerhaus. Haufenweise Becher und Behälter von Burger King, leere Camel-Schachteln auf dem Boden. Alles war genauso klein und schmutzig wie Jaworski selbst.
    Ich sah hoch. Über dem Rand des halb fertigen Gebäudes konnte man gerade noch den Mond erkennen. Eine nächtliche Brise wehte über mein Gesicht, die all die verzaubernden Düfte unseres tropischen Paradieses mit sich führte: Dieselöl, verrottende Vegetation und Zement. Ich atmete tief ein und richtete meine Gedanken dann wieder auf Jaworski.
    Er befand sich irgendwo im Inneren des Gebäudes. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir blieb, und ein gewisses leises Stimmchen drängte mich zur Eile. Ich ließ den Laster stehen und ging hinein. Als ich durch den Eingang trat, hörte ich ihn. Oder besser gesagt, ich hörte ein seltsames surrendes, ratterndes Geräusch, das von ihm stammen musste, oder …
    Ich zögerte. Der Klang kam von der Seite, und ich schlich auf Zehenspitzen hinüber. An der Wand entlang nach oben führte ein Rohr für elektrische Leitungen. Ich legte eine Hand an das Rohr und spürte, wie es vibrierte, als ob sich in seinem Innern etwas bewegte.
    Mir ging ein kleines Licht auf. Jaworski zog den Leitungsdraht heraus. Kupfer war sehr teuer, und für Kupfer in jeglicher Form existierte ein blühender Schwarzmarkt. Es war eine weitere kleine Möglichkeit, sein mageres Hausmeistergehalt in den langen, von Armut geprägten Wartezeiten zwischen zwei Ausreißerinnen aufzubessern. Eine Ladung Kupfer konnte ihm mehrere hundert Dollar einbringen.
    Jetzt, da ich wusste, was er vorhatte, begann die Andeutung einer Idee in meinem Verstand Wurzeln zu schlagen. Dem Klang nach befand er sich irgendwo über mir.
    Ich konnte ihn mühelos aufspüren, bis zum richtigen Zeitpunkt beschatten und dann zuschlagen. Aber ich war praktisch nackt, ohne jede Deckung und unvorbereitet. Ich war es gewohnt, diese Dinge auf eine gewisse Weise zu erledigen. Meine selbst ge-setzten Grenzen zu überschreiten war mir äußerst unangenehm.
    Mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Warum tat ich das?
    Die schnelle Antwort lautete selbstverständlich, dass ich überhaupt nichts tat. Mein lieber Freund auf dem dunklen Rücksitz tat es. Ich war nur dabei, weil ich den Führerschein besaß. Aber wir hatten uns geeinigt, er und ich. Wir hatten eine Art sorgfältig ausbalancierter Koexistenz erreicht, eine Form des Zusammenlebens, indem wir uns an Harrys Lösung hielten. Und nun randalierte er außerhalb von Harrys sorgfältigen, schönen Kreidelinien. Warum? Aus Zorn? War die Invasion meines Zuhauses tatsächlich so eine Herausforderung, dass er erwachte, um einen Gegenschlag zu landen? Für mich fühlte er sich nicht zornig an – wie immer schien er kühl, still vergnügt, begierig auf die Beute.
    Und ich war auch nicht wütend. Ich war – halb betrunken, total abgehoben, jonglierte am Rand der Euphorie, schaukelte durch eine Reihe innerer Wellen, die sich komischerweise so anfühlten, wie ich es immer von Gefühlen angenommen hatte. Und seine Unbesonnenheit hatte mich an diesen gefährlichen, unsauberen, unvorhergesehenen Ort geführt, um aus einem Impuls heraus etwas zu tun, das ich zuvor

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