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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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jedes Mal sorgfältig geplant hatte.
    Und obwohl ich das alles wusste, wollte ich es unbedingt tun. Musste ich es tun.
    Nun gut. Aber ich musste es nicht unbekleidet tun. Ich schaute mich um. Auf der anderen Seite des Raums stapelten sich Wandplatten, an denen sich noch die zerknüllte Folie befand. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich mir eine Schürze und eine Art Maske aus der Folie geschnitten, Nase, Mund und Augen lagen frei, damit ich atmen und sehen konnte. Ich zog sie fest und spürte, wie sie meine Gesichtszüge in eine unidentifizierbare Masse verwandelte. Ich verdrehte die Enden hinter meinem Kopf und knotete sie unbeholfen zusammen. Vollkommene Anonymität. Es mochte lächerlich erscheinen.
    Aber ich war daran gewöhnt, mit Maske zu jagen. Und abgesehen von dem neurotischen Verlangen, alles richtig zu machen, bedeutete es eine Angelegenheit weniger, um die ich mich kümmern musste. Sie half mir, mich ein wenig zu entspannen, also war es eine gute Idee. Ich nahm die Handschuhe aus der Einkaufstasche und streifte sie über. Jetzt war ich bereit.
    Ich entdeckte Jaworski im dritten Stock. Zu seinen Füßen häuften sich die elektrischen Leitungen. Ich stand im Schatten des Treppenhauses und beobachtete, wie er die Drähte herauszog. Ich wich ins Treppenhaus zurück und öffnete die Tasche. Ich benutzte das Paketband, um die mitgebrachten Bilder aufzuhängen. Süße kleine Fotos der Ausreißerinnen in einer Vielfalt von gewinnenden und sehr eindeutigen Posen. Ich klebte sie an die Betonwände, wo Jaworski sie sehen würde, wenn er durch die Tür auf die Treppe trat.
    Ich blickte zurück zu Jaworski. Er zog weitere zwanzig Meter Draht heraus, aber das Kabel blieb hängen und glitt nicht weiter. Jaworski riss zwei Mal daran, dann zog er eine große Drahtschere aus der Tasche und schnitt die Leitung durch. Er nahm den auf dem Boden liegenden Draht auf und wickelte ihn über seinen Unterarm zu einer festen Rolle. Dann wandte er sich zur Treppe – zu mir.
    Ich verbarg mich im Treppenhaus und wartete.
    Jaworski machte keinen Versuch, leise zu sein. Er rechnete nicht mit einer Störung – und er rechnete gewiss nicht mit mir. Ich lauschte seinen Schritten und dem leisen Klirren der Drahtrolle, die er hinter sich herzog.
    Näher …
    Er ging durch die Tür und einen Schritt an mir vorüber, ohne mich zu bemerken. Und dann sah er die Bilder.
    »Uuf«, stöhnte er, als hätte er einen heftigen Schlag in den Magen erhalten. Er starrte die Fotos mit herabhängendem Kiefer an, unfähig sich zu bewegen, und dann war ich hinter ihm und drückte das Messer gegen seine Kehle.
    »Keine Bewegung und keinen Laut«, befahl ich.
    »Hey, warte mal …«, sagte er.
    Ich drehte leicht das Handgelenk und stach mit der Messerspitze in die Haut unter seinem Kinn. Er zischte, als ein Besorgnis erregender, furchtbarer kleiner Spritzer Blut hervorquoll. So unnötig, warum hören die Leute nie zu?
    »Ich sagte, keinen Laut«, befahlen wir ihm, und nun war er ruhig.
    Und danach waren das Reißen des Paketbands, Jaworskis Atem und das stille Kichern des Dunklen Passagiers die einzigen Geräusche. Ich verklebte ihm den Mund, drehte ein Stück von des Hausmeisters kostbarem Kupfer um seine Handgelenke und schleifte ihn zu einem anderen Stapel in Folie geschweißter Wandplatten. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich ihn hochgehievt und an den improvisierten Tisch gefesselt.
    »Lass uns reden«, sagten wir mit der kalten, höflichen Stimme des Passagiers.
    Er wusste nicht, ob er sprechen durfte, und das Paketband hätte es sowieso schwierig gemacht, deshalb schwieg er.
    »Lass uns über Ausreißerinnen reden«, sagten wir, während wir das Paketband von seinem Mund rissen.
    »Jaaaaaa – was meinen Sie damit?«, sagte er. Aber er war nicht sehr überzeugend.
    »Ich glaube, du weißt, was ich meine«, versicherten wir ihm.
    »Nöö, nee«, sagte er.
    »Jau, ja«, sagten wir.
    Vermutlich ein Wort zu schlau. Mein Timing war im Eimer, der ganze Abend war im Eimer. Aber er wurde mutig. Er schaute hoch in mein glänzendes Gesicht.
    »Was sind Sie, ein Cop oder so was?«, fragte er.
    »Nein«, antworteten wir und schnitten ihm das linke Ohr ab. Es war am nächsten dran. Das Messer war scharf, und einen Moment lang konnte er nicht glauben, was ihm geschah, dauernd und für immer kein linkes Ohr. Deshalb ließ ich das Ohr auf seine Brust fallen, um ihn zu überzeugen. Seine Augen wurden riesengroß, und er holte tief Luft um zu kreischen, aber ich stopfte

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