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Des Todes Dunkler Bruder

Des Todes Dunkler Bruder

Titel: Des Todes Dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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ein, dass ich mich bisher nicht von seiner Schuld überzeugt hatte. Ich wartete, bis er sich beruhigte, dann entfernte ich das Klebeband von seinem Mund.
    »Die Ausreißerinnen?«, fragten wir.
    »O Jesus. O Gott. O Jesus«, wimmerte er leise.
    »Glaube ich nicht«, sagten wir. »Ich denke, die beiden haben wir hinter uns gelassen.«
    »Bitte«, flehte er. »Oh, bitte …«
    »Erzähl mir von den Ausreißerinnen«, sagten wir.
    »Okay«, keuchte er.
    »Du hast dir diese Mädchen gegriffen.«
    »… ja …«
    »Wie viele?«
    Er keuchte nur. Seine Augen waren geschlossen, und ich dachte schon, ich hätte ihn ein wenig zu früh verloren.
    Endlich schlug er die Augen auf und sah mich an.
    »Fünf«, sagte er schließlich. »Fünf kleine Schönheiten, und es tut mir nicht Leid.«
    »Selbstverständlich nicht«, sagten wir. Ich legte ihm die Hand auf den Arm. Es war ein schöner Augenblick.
    »Und jetzt tut es mir auch nicht Leid.«
    Ich stopfte das Plastik zurück in seinen Mund und machte mich wieder an die Arbeit. Aber ich hatte gerade erst meinen Rhythmus wieder gefunden, als ich den Nachtwächter unten an der Treppe hörte.

15
    D as statische Knistern seines Funkgeräts verriet ihn. 
    Als ich es hörte, war ich in etwas vertieft, das ich orher noch nie ausprobiert hatte. Ich bearbeitete den Torso mit der Messerspitze und konnte spüren, wie ein erstes echtes Prickeln mein Rückgrat und die Beine entlanglief, und wollte nicht aufhören. Aber ein Funkgerät – das war wesentlich schlimmer als das Eintreffen eines bloßen Wächters. Falls er Unterstützung anforderte oder die Straße sperren ließ, war es immerhin möglich, dass es mir schwer fallen würde, einige der Dinge zu erklären, die ich getan hatte.
    Ich sah hinunter auf Jaworski. Er war jetzt fast fertig, und doch war ich nicht glücklich über den Verlauf, den die Angelegenheit genommen hatte. Eine viel zu große Schweinerei, und trotzdem hatte ich nicht das gefunden, wonach ich suchte. Es hatte ein paar Momente gegeben, in denen ich das Gefühl gehabt hatte, kurz vor einer wundervollen Sache, einer erstaunlichen Enthüllung zu stehen, mit der ich – was? Vor dem Fenster über dem Wasser schweben? Aber es war nicht eingetreten, was immer es auch gewesen war. Nun stand ich hier mit einem unvollendeten, unsauberen, unaufgeräumten, unbefriedigenden Kinderschänder und einem Nachtwächter, der im Begriff stand, sich zu uns zu gesellen.
    Ich verabscheue einen überstürzten Abschluss. Es ist so ein bedeutender Moment und eine wahre Erleichterung für uns beide, den Passagier und mich. Aber welche Wahl blieb mir? Einen langen Moment – viel zu lang, wie ich beschämt gestehen muss – dachte ich daran, den Wächter zu töten und weiterzumachen. Es wäre einfach, und ich könnte noch einmal neu anfangen und weiter forschen.
    Aber nein. Selbstverständlich nicht. Es würde nicht funktionieren. Der Wächter war unschuldig, so unschuldig wie man nur sein kann, wenn man in Miami lebt. Er hatte vermutlich nichts Schlimmeres angestellt, als ein paar Mal auf dem Palmetto Expressway auf andere Fahrer zu schießen. Praktisch weiß wie frisch gefallener Schnee. Nein, ich musste einen hastigen Rückzug antreten, das war die einzige Möglichkeit. Auch wenn ich den Hausmeister ziemlich unfertig zurücklassen und mich ziemlich unbefriedigt zurückziehen musste – nun, beim nächsten Mal hatte ich bestimmt mehr Glück.
    Ich starrte hinunter auf das schleimige kleine Insekt, und Ekel erfüllte mich. Das Ding rotzte gleichzeitig Blut und Speichel, der hässliche feuchte Schleim blubberte über sein Gesicht. Ein Rinnsal von grauenhaftem Rot tropfte aus seinem Mund. Grollend schlitzte ich ihm mit einem raschen Schnitt die Kehle auf. Und bedauerte diesen Impuls umgehend. Ekliges Blut sprudelte in einer Fontäne heraus, und dieser Anblick ließ alles noch bedauerlicher erscheinen, ein schauderhafter Fehler. Unbefriedigt und beschmutzt sprintete ich zum Treppenhaus. Ein kaltes, verdrießliches Grollen des Dunklen Passagiers folgte mir.
    Im zweiten Stock verließ ich das Treppenhaus wieder und glitt an die Seite zu einem unverglasten Fenster. Unter mir konnte ich das Elektroauto des Wächters erkennen, das in Richtung Old Cutler geparkt war – was hoffentlich bedeutete, dass er aus der anderen Richtung gekommen war und mein Auto nicht gesehen hatte. Neben dem Wagen stand ein dicker, schwarzhaariger, junger Mann mit olivfarbenem Teint und dünnem schwarzem Schnurrbart und starrte am

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