Des Todes Liebste Beute
angefangen habe, und zu Hause wartet ein Babysitter auf die Ablösung. Brauchen Sie mich noch?«
Spinelli schüttelte den Kopf. »Gehen Sie ruhig nach Hause, Julia. Wollen Sie noch ein Stück Kuchen mitnehmen?«
Julia verneinte. »Vielen Dank. Ich fange morgen um neun mit der Autopsie an, falls jemand dabei sein will.« Sie sammelte Notizbuch und Tasche ein. »Gute Nacht, alle zusammen.«
»Jack?« Spinelli tippte auf den Tisch, und Jacks Kopf fuhr herum.
»Hmm?« Jacks Wangen färbten sich rot. »’tschuldigung. Was sagten Sie?«
Mit einer Mischung aus Vergnügen und Mitleid hatte Abe beobachtet, wie Jack Julia hinterhergestarrt hatte. Jack war verliebt, und Julia wusste es entweder nicht, oder es war ihr egal. Armer Jack.
Spinelli zwinkerte ihm zu. »Grabsteine? Tote? Was habt ihr gefunden?«
Jack räusperte sich. »Die Steine bestehen aus Marmor. Die Inschriften sind sandgestrahlt und nicht mit der Hand gemeißelt, was recht logisch ist. Er hätte mindestens eine Woche gebraucht, um nur einen zu gravieren.«
»Sandgestrahlt?«, fragte Kristen. »Wie geht das?«
Jack lehnte sich zurück. »Normalerweise nimmt der Steinmetz eine Schablone aus Gummi oder Velin und verwendet sie wie ein Negativ in der Fotografie: Das, was er gravieren will, ist ausgespart. Er legt die Schablone auf das Material, das er bearbeiten will, und schiebt es durch einen Sandstrahler. Dabei wird feiner Sand mit Hochdruck auf den Stein gestrahlt und fräst sich ein. Wenn die Inschrift tief genug ist, zieht man die Schablone ab, und der Stein ist fertig. Aber es ist recht schwer, das Material der Scha- blone von den glatten Oberflächen zu bekommen, wenn die Buchstaben so tief wie bei diesen Steinen eingeschnitten wurden.«
Mia sah ihn beeindruckt an. »Woher kennst du dich damit so gut aus? Hast du das schon selbst gemacht?«
Jack lächelte etwas verlegen. »Ich habe das Handwerk aufgegeben, nachdem ich mir in der Schule mal fast den Daumen abgeschnitten habe. Nein – ich habe im Internet nachgesehen. Es gibt ein paar größere Steinmetze in der Gegend, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Sachen rausgegeben hat. Er wird es selbst gemacht haben. So, wie es sich liest, ist es gar nicht so schwer, wenn man die richtige Ausrüstung hat.«
»Und woher kriegt man eine solche Ausrüstung?«, wollte Spinelli wissen.
»Auch hier haben wir nur ein paar wenige Hersteller, die in Frage kommen. Das Labor hat Rückstände der Scha- blone auf Kings Stein gefunden, und es handelt sich nicht um Gummi, sondern um Velin. Das schränkt unsere Auswahl noch etwas weiter ein.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Mia. »Jack, gib mir bis morgen die Liste der Hersteller, dann finde ich heraus, welche Kunden hier in Chicago leben.«
»Vielleicht hat er sich die Ausrüstung aber auch schon vor einiger Zeit besorgt.«
Mia nickte nachdenklich. »Das kann natürlich sein. Aber er braucht auch Material, und danach erkundige ich mich ebenfalls. Ich meine, ich kann mir einfach nicht vostellen, dass man Grabsteinmarmor mal eben bei Wal-Mart kaufen kann.«
Spinelli notierte es auf der Tafel. »Was noch?«
»Wir untersuchen noch immer die Kleidung, die in den Kisten lag. Bis morgen früh sollten wir eigentlich ein paar Ergebnisse haben. Außerdem bekommen wir morgen etwas über die Briefe, die Rameys Opfer erhalten haben – falls es etwas zu finden gibt«, sagte Jack. »Ehrlich gesagt, wäre ich schockiert, wenn dem so wäre.«
Kristen seufzte. »Wir müssen noch immer zu den Opfern von King und den Angehörigen der Kinder, die die Blades erschossen haben.«
Abe konnte ihr ansehen, dass sie sich davor fürchtete. »Sie brauchen nicht mitzugehen, Kristen.«
Sie schüttelte den Kopf, ganz wie er es erwartet hatte. »Doch, ich muss. Können Sie bis morgen früh um zehn warten? Um neun ist Anhörung.« Ihr Telefon klingelte – die digitalisierte Version von Pachelbels Kanon. »Mayhew … Hi, John. Ja, wir sind fast fertig.« Sie erbleichte, sprang auf und trat zum Fernsehapparat in der Ecke. »Verflixt noch mal. Welcher Kanal?«
Der Bildschirm erwachte zum Leben und zeigte Zoe Richardson, die in einer ihnen nur allzu bekannten Straße stand und berichtete.
»Dreck«, fluchte Mia.
»Miststück«, brummelte Jack.
Abe musterte Kristen, die vor dem Bildschirm stand. Die Fernbedienung zitterte in ihrer Hand. Aber dieses Mal war es keine Angst, die sich in ihrem Gesicht abzeichnete. Es war Wut. Er verstand, wie sie sich fühlte. Richardson
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