Des Todes Liebste Beute
sind.« Sie konzentrierte sich darauf, Tee in einen großen Becher zu geben, der so gar nicht zu ihrer zierlichen Tasse passen wollte. »Ich hatte Angst, allein hineinzugehen, und das hat mich so wütend gemacht, dass ich es an Ihnen auslassen musste.« Sie schaute auf und begegnete seinem Blick. »Es tut mir Leid.«
Er neigte den Kopf und beobachtete, wie sie den Becher vor ihm auf den Tisch stellte. Sie sah nicht weg, während sie sich entschuldigte, und das wusste er zu schätzen. »Schon gut. Ich bin es gewöhnt, dass Frauen ihre Wut an mir auslassen. Ich habe zwei Schwestern. Bitte setzen Sie sich.«
Sie tat es, bewegte sich aber so steif, dass er sich fragte, ob sie sich zu Hause immer so unbehaglich fühlte. Nun, natürlich war da noch die Tatsache, dass ein Scharfschütze sie heimlich beobachtete.
»Annie und Rachel, richtig?«
Er nickte, erfreut, dass sie sich erinnerte. »Und zwei Brüder. Aidan und Sean.« Er fasste den Teebecher mit beiden Händen und genoss die Wärme. »Aidan ist ebenfalls Cop. Wie mein Vater. Und alle seine Freunde.«
Ihr Blick wurde scharf. »Jetzt verstehe ich. Tut mir Leid, wenn Sie dachten, dass ich Polizisten als potenzielle Verdächtige herausgreife. Ich hätte Johns Leute sofort auf die Liste gesetzt, wenn ich daran gedacht hätte, aber ich bin es gewohnt, allein zu arbeiten.« Sie legte die Hand hinter den Kopf und massierte sich gedankenverloren den Nacken. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Ich habe zu empfindlich reagiert.« Seine Lippen zuckten. »Für manche Menschen ist die Dienstaufsichtsbehörde einfach nur eine nützliche Einrichtung zur Kontrolle der Polizei. In unserem Haus war die Bezeichnung schlimmer als das schlimmste Schimpfwort.«
Sie lächelte, nur leicht, aber echt. »Na ja, jedenfalls bin ich froh, dass wir dieses Missverständnis aus der Welt geschafft haben.« Sie wurde wieder ernst. »Aber Sie sehen doch sicher auch, dass wir jetzt, wo wir wissen, dass es sich um einen Scharfschützen handelt, noch verstärkter unter den Polizisten suchen müssen.«
Abe nickte. »Ja, natürlich. Und ich wusste das auch heute Morgen schon, aber es fällt mir einfach schwer zuzugeben, dass ein Cop sich zu einem Mörder entwickeln kann.« Sie massierte wieder ihren Nacken, und er schloss die Finger fester um seinen Becher, um sich davon abzuhalten, ihr diese Aufgabe abzunehmen.
»Lassen Sie es einfach offen.«
Ihre Augen weiteten sich. »Äh – bitte?«
Er trank einen Schluck. »Ihr Haar. Lassen Sie es offen. Die Nadeln verursachen Kopfschmerzen. Im Übrigen ist es ja nicht so, als hätte ich es nicht schon offen gesehen. Und Sie sind hier zu Hause.«
Nach einem Moment des Zögerns hob sie die Hände, zog die Nadeln heraus und ließ ihr Haar über die Schultern fallen. Nun,
fallen
war vermutlich nicht das richtige Wort. Es sprang, hüpfte und tanzte, wie festgezogene Sprungfedern, die, vom Druck befreit, plötzlich in alle Richtungen schnellten. Er senkte hastig den Blick auf seinen Becher, damit sie ihn nicht grinsen sah.
»Was ist?«
Ihre Miene entspannte sich, während ihre Finger durch ihr Haar fuhren. Abe hätte gerne gewusst, ob die Locken wohl drahtig oder weich waren, und er ahnte, dass der Duft an seinen Händen haften bleiben würde, wenn er jemals genug Mut sammeln konnte, um es herauszufinden. Er schüttelte den Kopf. »Dann sind Sie nur böse auf mich.«
Sie grinste verschmitzt. »Was denn? Pippi Langstrumpf? Finger in die Steckdose gesteckt? Föhn explodiert? Wissen Sie, das habe ich alles schon mal gehört.«
»Mir gefällt es.«
Ihre Augen verengten sich, als glaubte sie, dass er sie aus lauter Höflichkeit anlog. »Vielen Dank.«
Sie schwiegen einen Moment lang und tranken ihren Tee in der absoluten Stille der Küche, und Abe fragte sich unwillkürlich, ob es in Kristens Haus jemals laut war. In seinem Elternhaus war oft ein solcher Lärm gewesen, dass er sich nach Ruhe gesehnt hatte, doch die Stille hier war bedrückend. Trotz ihrer Bemühungen, jedem Raum ihre persönliche Note zu geben, herrschte das Gefühl der Leere vor. »Wie lange wohnen Sie schon hier?«, fragte er.
»Um die zwei Jahre.« Sie blickte sich zufrieden um. »Es macht Spaß, alles zu renovieren.«
»Sie sind geschickt«, bemerkte er, und sie lächelte erfreut. »Meine Schwester Annie ist selbstständig als Innendekorateurin tätig. Sie wäre entzückt über die Herausforderung, die so ein altes Haus bietet.«
»Es wurde 1903 erbaut. Ich entdecke handgeschnitztes
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