Des Todes Liebste Beute
Holz in jedem Zimmer, das ich umgestalte, aber an die Küche habe ich mich bisher noch nicht gewagt. Ich warte eigentlich darauf, dass eines der Geräte den Geist aufgibt, damit ich eine Ausrede habe, etwas Neues zu kaufen. Aber ich koche nicht gerade oft, daher ist der Herd in Sicherheit, und der Kühlschrank scheint ohnehin unsterblich zu sein.«
»Annie würde die Geräte ohne Reue hinauswerfen. Meine Mutter hat jahrelang gegen eine Renovierung ihrer Küche rebelliert, aber Annie hat schließlich doch gewonnen. Mom hat an jedem Tag, den Annie in der Küche gearbeitet hat, gejammert und gezetert, aber letztendlich war sie begeistert.«
Kristens Mund verzog sich zu einem Lächeln, das ein wenig wehmütig wirkte, wie er fand. »Ihre Mutter ist eine nette Frau. Und sie kümmert sich gut um ihre Kinder.«
»Ich bin kein Kind mehr«, stellte er fest. »Rachel ist es allerdings schon noch.«
Sie hob eine Braue. »Ach ja. Rachel, die wie ich sein will. Dreizehn war sie?«
Abe fingierte ein Schaudern. »Offenbar ja.«
»Ein kleiner Unfall nach Abschluss der Familienplanung?«
»Eher der Schock des Jahrhunderts.« Er grinste. »Ich weiß noch, dass wir älteren Kinder alle entsetzt waren, weil unsere Eltern
es
anscheinend immer noch taten.« Sie kicherte als Reaktion, sagte aber nichts, und nach einer Weile wurde das Schweigen erneut drückend. »Und was ist mit Ihnen?«, hörte er sich fragen. »Haben Sie Familie in der Nähe?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Er beugte sich erwartungsvoll vor. »Und?«
Sie lehnte sich zurück, so leicht, dass sie es vermutlich gar nicht bemerkte. Sie hielt ihn auf Abstand, bewusst oder nicht. »Nein, ich habe keine Familie hier in Chicago.«
Abe runzelte die Stirn. Ihre Stimme war tonlos geworden, ihr Blick ausdruckslos. »Wo dann? In Kansas?«
Ihre Augen blitzten auf, und sie setzte die Teetasse langsam auf dem Tisch ab. »Nein. Danke, dass Sie zu mir gekommen sind und sich in meinem Haus umgesehen haben, Detective Reagan. Es war ein langer Tag für uns beide.« Sie stand auf, und er hätte dasselbe getan, wenn er nicht gesehen hätte, dass ihre Hände zitterten, bevor sie sie hinter dem Rücken verschränkte. Wie sie so dastand in ihrem dunklen Kostüm, scheinbar gefasst, sah sie ganz aus, als ob sie sich im Gerichtssaal befand, wo niemand an den Menschen Kristen Mayhew herankommen konnte.
Doch ihre Hände zitterten hinter ihrem Rücken. Daher blieb er sitzen.
Gestern hatte sie behauptet, sie habe keine Freunde. Heute war es keine Familie. Plötzlich fiel ihm auf, dass er die beiden Male, die er durch ihr Haus gegangen war, keinerlei Fotos gesehen hatte, nicht eine einzige persönliche Erinnerung, bis auf das Diplom in Jura, das über ihrem Schreibtisch hing. »Setzen Sie sich, Kristen.« Er schob ihr den Stuhl etwas näher heran. »Bitte.«
Ihre Kiefermuskeln traten hervor, und sie blickte zur Seite. »Warum?«
»Weil Sie so erschöpft aussehen.«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre Locken hüpften. »Nein. Warum wollen Sie unbedingt etwas über meine Familie wissen?«
»Weil es … Familie ist.«
Sie wandte sich zu ihm um, und in ihren Augen stand nicht länger Ärger, sondern nur Vorsicht. »Stehen Sie und Ihre Familie sich nah, Detective Reagan?«
Detective. Sie war anscheinend entschlossen, ihn stets auf Armeslänge zu halten. Und er war genauso entschlossen, die Mauer, die sie errichtete, niederzureißen. »Ich habe in den letzten Jahren durch meinen Job nicht viel von ihr gesehen, aber – ja, wir stehen uns nahe. Es ist eben meine Familie.«
»Das ist sehr schön für Sie. Und das meine ich ernst. Aber Sie sollten wissen, dass die Mehrheit der Familien keine Horte der Geborgenheit sind, in denen man sich nahe steht und Freuden und Nöte miteinander teilt. In den meisten Familie gibt es ernsthafte Probleme.«
»Sie sind ein bisschen zu jung, um schon so abgestumpft zu sein.«
»Ich bin ein ganzes Stück älter, als Sie zu denken scheinen.«
Nun stand auch er endlich auf. »Ich denke vor allem, dass Sie müde sind. Sie sollten versuchen, ein bisschen zu schlafen.«
Ihr Mund verzog sich. »Schlaf gut, Kristen?«, sagte sie bitter. »Irgendwie scheint mir das nicht möglich zu sein.« Sie hob die Hand, als er den Mund zum Sprechen öffnete. »Nein, sagen Sie es nicht.«
»Was sagen?«
»Dass ich ins Hotel gehen soll. Das hier ist mein Zuhause. Und er wird mich nicht daraus verjagen.«
Er nahm ihre Tasse und stellte sie zusammen mit seinem Becher in
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