Des Todes Liebste Beute
die Spüle. »Das weiß ich, und das wollte ich auch gar nicht sagen. Ich wollte vorschlagen, zum Drugstore zu fahren und Ihnen etwas zu besorgen, mit dem Sie schneller einschlafen können.«
Sie schloss die Augen und umklammerte mit einer Hand die Stuhllehne. »Warum sind Sie so nett zu mir, Detective?«
Das war eine verdammt gute Frage. Weil sie so einsam wirkte? Weil er sie verängstigt und verwundbar gesehen hatte, obwohl sie der ganzen Welt zeigen wollte, dass sie mutig und beherrscht war? Weil er sich wunderte, dass es keinerlei Abendgarderobe in ihrem Schrank und kein Familienfoto in ihrem Haus gab? Weil sie ihn faszinierte und er sie nicht mehr aus seinem Kopf bekam? Weil ihr Lachen sein Innerstes erschütterte?
»Ich weiß nicht«, antwortete er grimmig. »Warum wollen Sie mich eigentlich nicht beim Vornamen anreden?«
Sie schlug die Lider auf und sah ihn misstrauisch an. »Ich … ich weiß es nicht.«
»Wenigstens sind Sie ehrlich.« Er nahm seinen Mantel, zog ihn über und begann, ihn zuzuknöpfen, während ihr Blick jede seiner Bewegungen verfolgte. Als er den obersten Knopf erreichte, schaute er auf und sah, dass seine Frage sie noch immer beschäftigte. Gut. Denn ihre beschäftigte ihn auch noch immer.
»Ich komme morgen früh am Gericht vorbei, um Sie abzuholen. Ich möchte die anderen ursprünglichen Opfer besuchen, bevor die Familien unserer fünf Toten eine Verbindung zwischen sich und dem Fernsehbericht von heute Abend herstellen und mit Richardson Kontakt aufnehmen.«
Als er die Reporterin erwähnte, wurden ihre Lippen zu einem Strich. »Ich warte auf Sie.«
Donnerstag, 19. Februar, 22.30 Uhr
Ihm war kalt. Eiskalt. Seine Hände schmerzten, und er blickte sehnsüchtig auf die fellgefütterten Handschuhe, die aus der Tasche lugten. Bald. Im Augenblick musste es mit den dünnen Lederhandschuhen gehen. Die warmen waren so dick, dass er den Abzug nicht richtig spüren konnte.
Er rutschte ein wenig hin und her und versuchte, es sich an dem harten Beton, an dem er lehnte, bequemer zu machen. Er kämpfte dagegen an, auf die Uhr zu sehen. Es konnte nicht mehr als eine Stunde verstrichen sein, seit er eingetroffen war. Er hatte an vielen eisigen Morgen mindestens dreimal so lang am Teich auf Enten gewartet. Für eine Beute, die ungleich wertvoller war, konnte er durchaus noch ein wenig aushalten.
Er ging davon aus, dass sein Gast jeden Moment erscheinen würde. Dass Trevor Skinner vielleicht gar nicht kommen würde, hielt er für undenkbar. Der Mann war garantiert auf den Köder angesprungen.
Für das, was er vermeintlich zu bieten hatte, würde sogar ein Mann wie Skinner sich mitten in der Nacht in diese gottverlassene Gegend wagen. Er hatte eine Ewigkeit suchen müssen, bis er diese Stelle vor einigen Wochen gefunden hatte, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Hier gab es alles, was er brauchte. Eine ausgestorbene, dunkle Gasse. Ein Werksgelände. Ein zweistöckiges, leeres Haus mit leicht zugänglichem Dach. Und eine Nachbarschaft, die übel genug war, um jeden daran zu hindern, neugierig herumzuschnüffeln, falls doch mehr Lärm entstehen sollte, als nötig war.
Er hörte den Wagen, bevor er ihn um die Ecke biegen sah. Die Scheinwerfer waren auf Standlicht geschaltet. Er sah schweigend zu, wie Skinner aus seinem Cadillac stieg. Er neigte den Kopf und sah durch das Zielfernrohr, um sich zu vergewissern, dass es sich auch um den richtigen Mann handelte.
Ja, das tat es.
Rasch richtete er das Fernrohr auf Skinners Knie und zog durch – einmal, zweimal –, und Skinner ging mit einem Schrei zu Boden. Genau wie King. Er spürte Triumph, verdrängte das Gefühl aber und blickte stur durch den Sucher, damit er erneut abdrücken konnte, als Skinners Hand sich bewegte. Die Hand schnellte im hohen Bogen aufs Straßenpflaster. Er hatte etwas aus seiner Manteltasche holen wollen. Doch das würde ihm jetzt nicht mehr gelingen.
Er wartete noch eine halbe Minute, bis er sicher war, dass Skinner sich nicht mehr regte. Dann sammelte er seine Sachen auf, auch die Patronenhülsen und zuckte zusammen, als sie seine Hand verbrannten. Irgendwann würde die Polizei ihm auf die Schliche kommen, aber er hatte nicht vor, ihnen die Arbeit zu erleichtern. Eine weitere Minute später war er auf der Straße und verstaute seine Ausrüstung in einem kleinen, verborgenen Fach in seinem Lieferwagen. Auch das würden die Cops finden, wenn sie nur genau hinsahen, doch dem flüchtigen Blick bot sich nichts weiter als
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