Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition)
nichts. Keinen einzigen Zahnersatz.
Nein!
(Herbert öffnet den Mund, und unsere Unterkiefer klappen auch runter vor lauter bewunderndem Staunen über sein makelloses Gebiss.)
Hammer! Jetzt, wo du’s sagst.
Silvia!
Hä?
Neid. Neid. Neid.
Ich weiß. Ich höre immer 20-Jährige jammern, die weiß Gott was schon alles mit ihren Zähnen haben.
Ich dachte immer, wenn man in der Jugend überhaupt nichts Süßes bekommen hat, hat man später einen besonderen Jieper darauf.
Da war ich immer auf der asketischen Seite. Da kommt der Urchrist raus, der sagt: «Du kriegst jetzt dein Essen, weil du gearbeitet hast. Wenn du nicht gearbeitet hättest, würdest du jetzt nichts kriegen.» Man kann mich auch mit erlesenen Speisen jagen. Ich weiß nicht, ob ihr’s gesehen habt: Der Schmidt hat zu meinem 70-Jährigen eine Sendung gemacht. Er wusste genau, womit er mich quälen kann: Mit einem 20-Gänge-Menü von irgendeinem Chefkoch. Da litt ich wie ein Tier. Ich war natürlich höflich, konnte aber überhaupt nichts anfangen damit. Und wenn dann noch so ein Pinguin dabeisteht und mir erklärt, dass das gestreichelte Rinder sind … schrecklich ist das.
Wo liegt denn dein Genusszentrum? Womit kannst du dich denn verwöhnen?
Im Leiden. In der Entsagung.
Puuuh. Das ist echt Thema bei dir. Du bist aber nicht mehr in der Kirche?
Nein. Ich bin absolut ungläubig. Das war so eine Jugendphase. Aber es zieht mich immer wieder zurück nach Salzburg, da werden dann die Fresken in den Kirchen lebendig und beschimpfen mich.
Hat das was mit dem Alter zu tun, dass du dich gerne an die Zeit zurückerinnern möchtest?
Das ist fast eine Zwangshandlung.
Wobei kannst du denn entspannen?
Ich werde ruhig und gelöst beim Wandern in den Bergen, diese Verbindung ist absolut da. So wie Leute, die vom Meer kommen, den Strand brauchen. Allerdings darf ich nicht zu lange in Fels und Firn sein, sonst spüre ich in den Sohlen, wie das zieht, weil da Wurzeln rauswachsen wollen. Ich habe keine Wurzeln.
Du hast keine Wurzeln – warum nicht?
Ich fühle mich wie ein Findling und habe kein Nationalgefühl, weder als Österreicher noch als Deutscher oder Amerikaner. Familie, Bindungen sind mir unwichtig. Mit Ausnahme meiner Frau. Das ist in der dritten Ehe tatsächlich eine Symbiose geworden. Aber ich habe keinen Freundeskreis. Ich könnte gar nicht damit umgehen.
Du hast nie einen Freundeskreis gehabt?
Den habe ich mir stetig dadurch zerstört, indem ich weggezogen bin. Einen Freundeskreis muss man im Alter zwischen 15 und 30 aufbauen, danach geht das nicht mehr.
Wenn du lange in den Bergen bist und du spürst die Wurzeln, die du nicht hast, aus deinen Sohlen wachsen, wäre als Eremit zu leben eine Option für dich?
Damit nerve ich immer meine Frau, wenn wir irgendwo oben auf den Bergen sind. Eine alte Sennhütte, ein hölzernes Jagdhaus, da werde ich sentimental. Gern hätte ich dann auch ein Komponierhäuschen wie Gustav Mahler. Aber das ist zu spät, das wäre die andere Lebensform. In meinem Leben gab es viele Weichen. Wäre ich in Salzburg geblieben, wäre ich heute was ganz Furchtbares. Kultusminister in Österreich oder Festspielpräsident oder irgendjemand, der andere Leute quält oder den Fortschritt verhindert …
Vermisst du keine Freunde? Kompensierst du es mit etwas anderem? Der Mensch braucht doch etwas, was ihn aufbaut?
Ich kann Nähe schlecht zulassen. In dem Augenblick, wo ein Publikum da ist, mit einer Rampe vorn, kann ich gerne Sympathie entgegennehmen. Aber diese Schwelle zu überschreiten, fällt mir sehr schwer. Ich kann nicht unbefangen in eine Kneipe gehen, eine Hand auf meiner Schulter spüren und eine Stimme hören, die sagt: «Hallo! Komm! Trink einen mit!» Da müsste ich fliehen. Das geht nicht. Also vermeide ich es. Vermisse es auch gar nicht.
Gibt es Ängste in deinem Leben, die dein Denken oder Handeln bestimmen?
Die Urangst bei mir war immer, abhängig von anderen Menschen zu sein. Das hat mich auch zu manchen beruflichen Schritten bewogen, die weder notwendig noch gut waren. Ich brauche mein «Leck mich am Arsch»-Geld, also genug Kohle, um jederzeit zu dem NEIN sagen zu können. Das war meine Lehre aus New York. Ich bin dort ziemlich mittellos angekommen und hatte keine Chance zu arbeiten. Ich habe also wirklich diese unterste Stufe Amerikas erlebt, die sehr gnadenlos ist. Die hat mir große Angst gemacht, weil
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