Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition)
im Kopf gibt’s keine Grenzen.
Wenn ich dich hier in deinem fliederfarbenen Hemd sitzen sehe, bist du ja auch ein farbenfroher Mensch. Du liebst Farben. Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war deine Heimat, waren Autos, Tapeten, Häuserfassaden, Fernsehstudios beige, braun, hellbeige, dunkelbraun, ocker, creme, hellblau oder wenn’s hochkam, vielleicht noch blassorange angepinselt. Ich glaube, farbliche Eintönigkeit war eine der ganz großen visuellen Beutelungen, oder?
Wo sollte sie herkommen, die Farbigkeit? Farbzusätze waren ja nur für Devisen zu haben. Schau mal, unsere Jeans hatten zum Beispiel nicht dieses unglaublich satte Indigoblau, wie man es von amerikanischen Jeans kennt. Unsere waren irgendwie ganz anders hergestellt. Ich weiß nicht wie, aus Erdfarben oder Tonschichten vielleicht.
(Schmunzelt.)
War das denn dann eine komplette Reizüberflutung im Westen – die Farbigkeit?
Ich bin regelmäßig mit Kopfschmerzen aus Supermärkten, aus Kaufhäusern geflüchtet, weil ich nicht mehr konnte. Es war ein Input, den kein Mensch ausgehalten hat. Und das hielt, glaube ich, zwei, drei Jahre an. Selbst heute habe ich noch manchmal Probleme damit. Dass es mir zu viel wird, zu viel Optik, zu viel Akustik.
Bist du jemand, der mit Ängsten zu tun hat?
Nein, ich bin eher ein sehr neugieriger, ein wissbegieriger Mensch. Und ich gehe gern an meine Grenzen. Einer meiner besten Freunde, Niki, schenkte mir zum Geburtstag mal ’ne Vogelspinne. Sie ist wunderbar pflegeleicht. Verbraucht monatlich eine Grille oder einen Grashüpfer.
Sie bekommt nur einmal im Monat einen Grashüpfer?
Ja. Sie heißt Emilia und wird acht.
Wie alt werden denn Vogelspinnen?
Ich glaube, über 30 Jahre alt.
Ist das süß – Emilia!
Abgeleitet von ihrem lateinischen Namen Brachypelma emilia.
Und die streichelst du auch und spielst mit ihr?
Nein, um Gottes willen. Das würde ihren Kosmos gewaltig durcheinanderbringen, den sie ja über ihre sogenannten Brennhaare wahrnimmt. Man muss sie nur mal anpusten, und sie wird massiv nervös.
Wie groß ist denn ihr Käfig?
Es ist ein Terrarium, denn bei einem Käfig könnte sie durch die Stäbe krabbeln. Und dann wäre Polen offen.
Emiliaphobie in Hamburg!
Sie lebt in einem 30 mal 30 Zentimeter großen Glasterrarium, weil die nicht wandern. Die verrücken einmal alle acht Stunden ein Bein, und das ist dann schon eine immense Bewegung.
Machen die denn auch Pipi und Kacka? Muss man da das Terrarium säubern?
Einmal im Jahr bekommt sie frische Tropenerde. Und was sie machen, ähnelt der Größe nach einer Stecknadel. Irgendein weißes Gebilde. Und das geht in die Erde und dort verloren, ein Nichts.
Und der Grashüpfer, den musst du lebendig in der Zoohandlung kaufen? Oder fressen die auch tote?
Nein, sie will ihn fangen, das ist völlig klar.
Und hast du kein Mitleid mit dem Grashüpfer?
Doch natürlich, ich spreche ja vorher mit dem. Man könnte auch sagen, er kriegt ’ne 1a Anmoderation. Verpackt sind die Grashüpfer in kleinen Plastikboxen, immer zehn Stück. Am Füttertag lüpfe ich den Deckel und der erste, der den Kopf raussteckt, hat die A-Karte gezogen. Anmoderation Riewa: «Du hast nicht umsonst gelebt, du lebst jetzt in der Spinni weiter.» Und die restlichen werden vorbildlichst und unter Beachtung aller zoologischen Regeln an der Hamburger Außenalster ausgesetzt. Früher handhabte ich das etwas anders. Da wohnte ich im Seitenflügel eines beschaulichen Hinterhofs in der Langen Reihe und setzte sie in unmittelbarer Nachbarschaft eines Restaurants aus, in den Blumenrabatten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich – akustisch gesehen – süditalienisches Flair auf diesem Hinterhof. Ein Gegrille und Gezirpe, wunderbar in lauen Sommernächten. Bis die Inhaber vom Restaurant meinten: «Du, Jens, nichts gegen deine Tierliebe, aber wir haben Angst, dass uns die Viecher in die Küche krabbeln …» Seitdem kommen Emilias Überlebende an die Alster.
Gibt es noch andere putzige Haustiere?
Nein, das ist das einzige. In meinem Job ist man viel unterwegs. Und Spinni Emilia braucht keine große Pflege, wie gesagt. Sie hat auch richtige Diätphasen. Vogelspinnen sind Weltmeister in Sachen Energieverwertung. Das ist unglaublich. Anderthalbjährige Ruhepausen legt sie hin und wieder ein, in der Literatur spricht man von bis zu drei Jahren, die eine Vogelspinne völlig ohne Nahrung
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