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Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition)

Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition)

Titel: Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheel , Hella von Sinnen
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ging ich nach Berlin, hatte meine erste eigene Wohnung und fing bei Deutschlands ältestem Radiosender, dem Berliner Rundfunk, an. Da gab es noch eine Ausbildungsform, die gibt es im Westen eigentlich gar nicht. Man hat wirklich Radiomacher, professionelle Sprecher, ausgebildet. Der Begriff «Moderator» war uns immer zu hoch. Als Allererstes hast du ganz verschärft Nachrichten lesen gelernt. Das sollte die Richtung sein, in die ich dann gegangen bin. Wenn’s drauf ankommt, kann ich sehr offiziell klingen.
     
    (Spricht mit professionellster Nachrichtentonlage:)
     
«Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands …»
(Bricht angestrengt ab.)
… ich habe es heute immer noch drauf.
     
    Allerdings.
     
Man könnte mich nachts wecken …
     
    Es gab ja nun doch Volksempfänger in der DDR. Es gab aber keine Kassettenrecorder? Viele von uns Wessikids hatten ja Kassettenrecorder und haben mit Mikrophönchen vorm Radio gesessen und sich ihre eigenen Kassetten aufgenommen. Diese «Aufnahme-Kultur» war dir als Kind fremd?
     
Diese Kultur hätte ich gerne gepflegt. Aber meine Eltern waren keine reichen Leute, sondern hart arbeitende Menschen, die sich so was gar nicht hätten leisten können. Oder wollten.
     
    Ah. Okee.
     
Es gab zu Haus ein Gerät, so ein Kassettengerät mit Aufnahmefunktion, das nur mein Vater bedienen durfte. Der hat das gehütet wie seinen Augapfel. Das war aber nur ein Kassettenabspielgerät. Erst viel später hatten wir dann eines mit ’ner Aufnahmefunktion. Und noch viel später, fast schon in den Endzügen der DDR, kam der erste Stereo-Recorder. Das war ein komplizierter technologischer Prozess für unsere Wirtschaft. (Hebt die Augenbrauen.) Mikrophone gab es bis dato in diesen Geräten ja nicht. Die hatte höchstens die Stasi. Für die ging wahrscheinlich eine Jahresproduktion Mikrophone drauf. Ich hatte keine Ahnung von Karaoke oder integrierten Mikrophonen. Gab es doch nicht in den Läden. Das war alles bei Horch und Lausch.
     
    HiHi. Das trifft mein Komikzentrum: Karaoke und Mikrophone bei Horch und Lausch. Da saßen sie dann in ihren abgedunkelten Autos und sangen: «I did it my way …»
     
    Was würdest du sagen, wie wichtig ist Musik in deinem Leben? Komplett unverzichtbar? Bei der Frage nach der einsamen Insel – würde Musik dazugehören?
     
Oh Gott, ich glaube, ich würde eher auf Essen verzichten und dafür ein paar iPods mehr einpacken, um nicht auf Musik verzichten zu müssen. Wisst ihr, Musik ist dein Begleiter in einsamen Stunden und in den schönsten Momenten. Musik ist das, was du mit Mitmenschen verbindest, was dich an deine Eltern, deine Geschwister erinnert, was immer dabei ist. In dem Moment, als der Mensch anfing zu musizieren, hat er sich, glaube ich, vom Tierreich abgehoben.
     
    Du sagtest, der Schichtpudding, das Erste, was du damals für Westgeld zuerst gekauft hast, war die größte Enttäuschung des Jahrtausends. Gibt es dennoch irgendetwas «Westliches», wo du dich nach gesehnt hast? Und das deine Erwartungen übertroffen hat?
     
Essenstechnisch?
     
    Egaltechnisch. Gab es nichts, wo du gesagt hast: «Wow! Das ist einfach geiler, als es bei uns war!»
     
Das ist wirklich eine sehr gute Frage, zumal jetzt dieser Abstand von über 20 Jahren dazukommt. Vielleicht klingt das jetzt ein bisschen zu philosophisch – aber zu sehen, was Menschen, die man NICHT gängelt, die man NICHT an der kurzen Leine hat, die sich im besten Sinne frei entfalten können, zu produzieren vermögen, zu schaffen, das war mehr als beeindruckend. Ich erinnere mich an Momente, als ich in den ersten Wendetagen durch Westberliner Warenhäuser ging und wirklich jede Einzelheit bestaunt habe. Türklinken, Rolltreppen, Regale, Schlösser! Wie ist das gemacht? Ich habe alles, was mein Auge erfassen konnte, angeguckt. Wirklich alles! Weil es anders war, als ich es in meinem Land erlebt habe. Das war ein Gefühl, als hätte man mich auf dem Mars ausgesetzt. Als würde ich eine völlig neue Zivilisation kennenlernen. Wie wird das hergestellt? Welche Farbe haben sie sich ausgedacht? Welches Muster für dieses T-Shirt, für diesen Pullover? All dieses zu begreifen, was im Nachhinein auch bei uns möglich gewesen wäre, hätte man uns nicht so klein gehalten. Ich ertappe mich auch heute noch dabei, wie ich mich manchmal förmlich zur Phantasie zwingen muss. Denk dich frei, Alter,

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