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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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doch nicht immer so talentiert darin, Geheimnisse zu vertuschen, wie alle behaupten. Ich hab irgendwann einmal beobachtet, wie er den Schlüssel geholt hat. Geh schon hoch! Ich werde dich nicht verraten und er sicherlich auch nicht.«
    Ich warf ihr den Schlüssel zu und sie verschwand mit einem bre iten Grinsen genauso schnell wie sie gekommen war.
    Keine zwei Minuten später verließ auch ich die Bibliothek und mac hte mich auf den Weg in mein Zimmer, das einzige Schlafzimmer im Erdgeschoss. Dort hatte ich schon übernachtet, wenn ich nur zu Besuch hier gewesen war.
    Die Uhr schlug neun, als ich durch die Eingang shalle schlich.
    Als ich sie das nächste Mal hörte, schlug sie drei Mal. Ich lag wach in dem großen Himmelbett, das mamé bei unserem Einzug für mich gekauft hatte. Noch im Schlaf hatte ich mich auf die Seite gerollt, die Beine angezogen. Die Decke hatte sich zwischen meinen Beinen verknotet – vermutlich hatte ich wirres Zeug geträumt und sie dabei weggetreten. Ein kalter Luftzug ließ Gänsehaut auf meinen Armen entstehen. Ich achtete nicht darauf und sah dabei zu wie das Mondlicht durch meine dünnen Vorhänge auf den Boden vor mir fiel. Mit den Augen folgte ich dabei der Maserung des Holzes. Doch als mir selbst das nichts Neues mehr bot, setzte ich mich auf und schlang die Arme um die Knie.
    Nicht zum ersten Mal dachte ich, dass nicht nur das Bett, so ndern das gesamte Zimmer viel zu groß wirkte. Es glich mehr einem halben Ballsaal als dem Schlafzimmer einer Siebzehnjährigen; die hohe Decke, die getäfelten Wände, das edle Holz aus dem der Schrank, die zwei Kommoden, der Schreibtisch und das Bett gemacht worden waren. Bei der Einrichtung hatte man keine Kosten gescheut – nur Modernität.
    Nach einer Weile stand ich auf und verließ das Zimmer.
    Die Eingangshalle war menschenleer und bis auf das Ticken der Standuhr still. Auf dem Stein machten meine nackten Füße ein zusätzliches leises Geräusch. Ohne zu wissen warum strich ich über die einzelnen Gemälde an der Wand. Neben den vielen Darstellungen von Paris waren in einer Ecke auch hier Verwandte zu sehen.
    Einen Augenblick lang blieb ich vor dem Bild meines Urgroßo nkels stehen – Julien Durands. Er soll ein sehr »künstlerisch geprägtes« Leben geführt haben – hatte versucht auf den Straßen von Paris Geld mit seiner Kunst zu verdienen. Er soll es geliebt haben, Menschen zu beobachten, ihre Träume zu erkennen, Bilder von allem zu malen, was ihm in den Sinn kam. So hatte mamé es mir einst mit leicht gerümpfter Nase erzählt.
    Ein Geräusch ließ mich aufhorchen. Noch langs amer als zuvor bewegte ich mich auf den Salon zu. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, bemerkte ich, dass die Tür zum Arbeitszimmer nicht geschlossen war.
    Von dort kamen die Geräusche.
    Pépé saß auf seinem Schreibtischstuhl. Er sprach mit jemandem ohne ein Telefon in der Hand zu halten. Mit einer Hand trippelte er auf der Lehne. Er wirkte nervös und aufgebracht.
    Ich trat einen we iteren Schritt vor.
    Auf dem breiten Schreibtisch stand ein modernes, kleines La ptop. Ich runzelte die Stirn. Ich hätte nicht gedacht, dass er überhaupt wusste, wie man auch nur ein computerähnliches Gerät bediente, geschweige denn wie man skypte. Wo ich selbst es so selten tat, dass man es kaum zählen konnte.
    »Ja«, hörte ich ihn in Richtung des Bildschirmes sagen. »Ich h abe es gesehen, ich bin mir vollkommen sicher. Ja … ja ich weiß, dass es lange gedauert hat, das wussten wir schon vorher. Spätestens nächste Woche treffen wir uns hier.«
    Mit angehaltenem Atem schob ich mich weg von der Tür in den Scha tten, als mein Großvater sein Laptop zuklappte und im Raum auf und ab ging. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht stehlen. Dann hielt er inne, griff nach dem altmodischen Telefon mit Wählscheibe und drehte daran.
    » Sebastien Durands hier«, wisperte er in den Hörer. »Mein Verdacht hat sich bestätigt. Es hat wieder eine Durands’ getroffen …« Sein Gesprächspartner redete über zwei Minuten lang. »Am Montag, gut, bis dann.« Mit diesen Worten legte er wieder auf.
    Mein gesunder Menschenverstand schrie, dass er den Verstand verloren oder einer Sekte beigetreten war. Vielleicht hätte ich in di esem Moment jemanden wecken oder anrufen, vielleicht auch weglaufen sollen. Hätte. Ich tat es aber nicht.
    Pépé legte den Hörer wieder auf. Leicht zerstreut ging er sich durch das graue Haar. Er steckte

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