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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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nicht einmal die Zeit nach seinem Pferd zu rufen, da hörte er das vertraute Wiehern von Ian. Kurz darauf stand der Hengst bereits vor ihm und senkte den Kopf, um von Jaron hinter den Ohren gekrault zu werden.
    »Wow«, sch naubte Cassim. »Deine Verbindungen arten allmählich aus. Ein Mensch, deine Freundin, jetzt auch noch dein Pferd?«
    »Liegt nicht an mir, eher an dir; ich hab Ian nicht gerufen.«
    Verständnislos sah sie ihn an.
    »Sieht nach einer Erweiterung deiner Kräfte aus. Du merkst, dass du Ian brauchst, weil wir durch ihn schneller sind. Allmählich b eginnen auch die Lebwesen auf dich zu reagieren. Normalerweise kann ihn niemand außer meiner Wenigkeit kontrollieren.«
     
    *
     
    Dass wir zusammen auf einem Pferd ritten, war schon länger kein Problem mehr. Wir hatten eine Technik gefunden, ohne dass wir uns in Gefahr brachten. Dabei saß ich vorne und krallte meine Finger in Ians dunkle Mähne, die sich weich zwischen meinen Fingern anfühlte. Jaron, der vermutlich auch reiten konnte, wenn er im Handstand auf dem Sattel stand, war so weit wie möglich nach hinten gerutscht, er hielt die Zügel. Ob und wie genau er dabei sein Gleichgewicht hielt, war mir ein Rätsel.
    Während wir auf diese Art zur Stadt der Echos ritten, wechselten wir kaum ein Wort miteinander. Es gab nichts zu bereden. Ich wollte ein möglicherweise existierendes Portal suchen.
    Vielleicht hätten wir darüber reden sollen, dass die Wächter dieser bestimmten Stadt in der Lage waren, diese abzuriegeln.
    » Die Stadt ist gesperrt!«, erklärte ein hünenhafter Mann mit kurz rasierten Haaren, dessen Miene trotz seinem lächerlichen Schnauzer abschreckend war. »Heute kein Durchkommen!« Um seine Worte zu verdeutlichen, stellte er sich mitten in den Durchgang. Eine Waffe hatte er allerdings nicht.
    »Wir müssen nur kurz hinein«, versuchte Jaron ihn zu überzeugen. Noch immer konnte ich ihn nicht sehen, stellte mir aber vor, wie er sein freundlichstes und übe rzeugendstes Lächeln aufsetzte. »Wir wollen jemanden besuchen, bei dem wir etwas wirklich Wichtiges vergessen haben. Es dauert nicht lang.«
    »Heute kein Dur chkommen!«, wiederholte die Wache.
    Jaron argumentierte weiter, aber ich hörte ihm nicht zu. Mein Blick blieb an einem anderen Mann hängen, einem kleineren mit rotblonden Haaren, der nicht älter als Jaron wirkte. Wie ein Schlafwandler kletterte er auf die Mauer, streckte die Arme aus und balancierte . Nach ein paar Metern blieb er stehen, machte eine halbe Drehung und starrte mich direkt an.
    »Was du findest, wird dir nicht gefallen !«, sagte er mit lauter, zitternder Stimme. Dann wurde er von zwei weiteren Torwachen am Kittel gepackt und auf den Boden geworfen.
    Ladies and Gentleman, wir haben den Irren der Irren gefunden!
    Als ich mich Jaron wieder zuwandte, waren diesem bereits die Arg umente ausgegangen. Und da Bestechung bei dem Wächter nicht wirken würde, gaben wir auf.
    Jaron wendete sein Pferd, zog die Zügel leicht an und ritt dann los. Nicht nach links, von wo wir gekommen waren, sondern in die entgegengesetzte Richtung quer über ein unbebautes Feld, auf dem vereinzelt sonnengelber Löwenzahn mit dem restlichen Unkraut um die Wette wuchs.
    Es erinnerte mich an einen Reitausflug, den Noemie, unsere Mutter und ich in Deutschland gemacht hatten. An einem kleinen Bach hatten wir ein Picknick gemacht und meine Mutter hatte uns versucht zu erklären, warum es besser war, nach Frankreich zu ziehen. Dass ich ihr dabei die mitgebrachten Erdbeeren beinahe ins Gesicht geschmissen hatte und weggeritten war, zählte nicht zu meinen Glanzleistungen.
    »Gehen wir trainieren?«, fragte ich Jaron schließlich.
    »Nein, ich habe eine bessere Idee. Ausnahmsweise nutzen wir die Stunden einmal anders.«
    Ich brauchte sein Grinsen nicht zu sehen. Ich wusste, es war da. Zu schade, dass Lillian nicht spontan auftauchte, das würde es ihm aus dem Gesicht wischen.
    Nach einer Weile stieg der Weg an. Jaron verlangsamte das Tempo. Ich klammerte mich fester an die Mähne, um nicht nach hinten zu rutschen. Obwohl auch er sich im Sattel zurücklehnen musste, spürte ich ihn hinter mir deutlicher.
    Um nicht daran denken zu müssen, dachte ich an Alice und ihre Versuche, mich normal zu machen. Und mir fiel ein, wie sehr sie darauf brannte, Jaron einmal zu sehen; meine Erzählungen reichten ihr nicht. Er wäre genau ihr Typ. Die hellblonden Haare, die silbernen, vielschichtigen Augen. Dazu der Kontrast zwischen dem kantigen Kinn und

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