Desiderium
Nebengebäude.
Das Haus war u-förmig gebaut worden. Die Tür, durch die ich ging, führte mich in den länglichen unteren Teil. Auf der gegenüberliegenden Seite führte eine Tür aus Milchglas wieder hinaus. Daneben hing eine große, rahmenlose Leinwand, auf der von bekannten, einfachen Farben wie schwarz oder weiß bis hin zu Tönen, die ich nicht einmal benennen konnte, alles vertreten war. Sie bildeten ein unbeschreibliches Muster; einen schwindelerregenden Strudel, der dennoch Form und Struktur hatte.
Zu meiner Rechten war eine Essecke aufgebaut worden wie man sie aus ein em amerikanischen Diner kannte; eine hohe, mit schwarzen Leder bezogene Bank und ein daran befestigter, quadratischer Tisch. Die Wand dahinter war weiß gestrichen und schmucklos, lediglich eine einfache Lampe hing von der Decke.
Im rechten Auslauf des Us waren eine Tür und eine Küche mit karierten Fliesen, einer abgerundeten Arbeitsplatte, ein Waschbecken, einem Ofen und einem herdplattenähnliches Gestell.
Dass Sehnsüchte Essen mussten, war mir neu. Es war nie ein Thema gewesen.
Im linken Flügel befand sich das Wohnzimmer. Auch hier war weiß gestrichen, der Boden mit Laminat ausgelegt worden. Mittendrin stand ein anthrazitfarbenes Sofa; in unserer alten Wohnung hatten wir ein ähnliches besessen. Im Gegensatz zu unserem war dieses jedoch nicht auf einen Fernseher ausgerichtet, sondern auf einen offenen Kamin, in dem zu dieser Tageszeit verständlicherweise kein Feuer brannte. Des Weiteren hatte man mit einem breiten Schreibtisch, auf dem ein Stapel Papier und eine Stiftebox stand, und einem kleinen Aktenschrank auf Rollen eine Arbeitsecke eingerichtet.
Doch der Blickfang des gesamten Raumes waren nicht die Möbel oder die verschiedenen Farben, sondern das, was im Wohnzimmer an der Wand hing: Statt eines weiteren Gemäldes sah man dort große, tiefgrüne Palmenblätter, die von der Decke bis zum Boden reichten.
Das Motto des Tages: Mut zum vielseitigen Einrichtungsstil!
»Ich schätze, Schlaf- und Badezimmer brauchst du nicht zu sehen«, ertönte Jarons Stimme hinter mir.
Er ging so nah an mir vorbei, dass wir uns beinahe berührten; es reichte, um ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut hervorzurufen. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Kopf berührte das große Bild. Die vielen Farben um seine blonden Haare verliehen ihm etwas Irres, gleichzeitig jedoch auch Geheimnisvolles.
»Wessen Haus ist das?«, fragte ich ihn, obwohl ich es mir anhand der Einrichtung schon denken konnte.
Jaron neigte den Kopf leicht nach vorne. »Meins. Ich wohne hier seit meinem ersten Tag als Sehnsucht.«
»Warum zeigst du mir dein Haus?«
»Ich will dir etwas von mir zeigen, mein Leben …« Nie zuvor hatte ich ihn derart zögern sehen. »Weil du bisher von allem, was nicht direkt mit deinen Aufgaben zutun hat, nur die Oberfläche angekratzt hast … Erinnerst du dich, wie ich dir sagte, du bräuchtest mich, weil du nicht weißt, wie du mit den willenlosen Sehnsüchten umgehen sollst?«
»So ungefähr«, nickte ich.
»Manchmal habe ich das Gefühl, dass du es noch immer nicht verstehst.« Er zog ein Bein an, um sich abzustützen. »Als ob du akzeptierst, dass wir Sehnsüchte existieren, aber nicht glaubst, dass manche von uns wirklich leben. Wir alle haben eine Geschichte, auch wenn viele von uns es nicht wissen. Aber du arbeitest seit Wochen mit Darragh und mir und hast uns nie nach etwas gefragt, was nicht der Recherche oder dem Training diente. Die Gelegenheit war da. Ich will, dass du verstehst …«
Während er gesprochen hatte, hatte er mich keine Sekunde aus den A ugen gelassen. Er hatte meinen Blick aufgefangen. Wie schon vorhin, als wir uns unterhalten hatte, wirkte das Silber in seinem Augen auf mich wie ein pendelnder Zauberstab auf ein Kaninchen.
Das war nicht mehr normal, selbst für ihn.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Warum hast du es mir dann nie vorher gezeigt?«
»Weil dafür tatsächlich die Zeit fehlte. Und weil ich dachte, dass sich das nach ein paar Wochen ändert; je mehr du die Sehnsucht spürst, je mehr du Sehnsüchte und die Auswirkungen ihres Handelns erlebst, desto leichter würde es dir fallen, alles zu verstehen.«
Er hatte Recht . Ich wusste kaum etwas über ihn, außer dass er sehr sportlich war, eine Freundin hatte und nun, dass er hier wohnte. Über Darragh wusste ich noch wesentlich weniger.
»Ich habe nie daran gedacht«, gestand ich. Zu meiner
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