Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
Vom Netzwerk:
den für gewöhnlich weichen Gesichtszügen.
    Mir war nie aufgefallen, wie genau ich sein Gesi cht inzwischen kannte, wie detailreich ich ihn vor meinem inneren Auge sehen konnte. Das hätte mich erschrecken sollen.
    Ich verwarf den Gedanken an Alice und Jaron, als wir einen Vorort erreichten. Wenige Häuser reihten sich an die asphaltierte Straße, dazu vereinzelte Läden. Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, war die Straßenbeleuchtung – eine handvoll Laternen – eingeschaltet. Jaron steuerte auf das Ende der Straße zu, wo ein weiteres Tor, dieses Mal unbewacht und mit geöffneten Türen auf uns wartete.
    Behutsam stieg er vom Pferd ab. Ich sah ihm dabei zu, wie er den Kopf vorbeugte und Ian etwas ins Ohr flüsterte. Das Pferd wieherte zufrieden, als er ihm über die Stirn strich. Trotz unseres Problems bot er mir anschließend die Hand an. Ich lehnte ab. Er registrierte es mit einem Blick, der mir sagen sollte: Dämlicher Durands- Stolz.
    Ohne darauf einzugehen, stieg ich eigenständig ab und ging neben ihm her, während er das Pferd an den Zügeln haltend durch das Tor ging. Von der Seite warf ich ihm einen Blick zu.
    Mir wurde bewusst, dass Ian bei ihm war, weil er es wollte. Er war es, der das Tier haben und es reiten wollte. Sein Verbundener hatte damit nichts zu tun. Ein weiteres Zeichen dafür wie groß sein freier Wille war!
    »Warum gehen wir nicht trainieren, wenn ich schon einmal hier bin?«, fragte ich. »Ich habe noch genügend Zeit. Du könntest mich durch einen Dschungel aus Fallen jagen, um meine Reaktionsf ähigkeit und mein Verhalten unter Stress zu testen. Oder meine Willenskraft, indem du mir …« Ein Bild meiner Schwester tauchte vor meinem inneren Auge auf. »indem du mir einen Berg Schokolade vorsetzt, den ich ansehen, aber nicht anfassen darf.«
    Mit einer äußerst geschmeidigen Bewegung, die jeden Film- Vampir vor Neid hätte erblassen lassen – falls das überhaupt mö glich war bei dem vielen Make- Up – drehte er sich wieder zu mir um. Er schenkte mir ein halbes Lächeln. »Netter Versuch, Mademoiselle Durands. Aber du hast ein wenig zu oft betont, dass dir nichts etwas ausmacht. Ich würde am Ende als der Naive dastehen und du würdest mich auslachen. Außerdem wirst du jeden Tag in Versuchung geführt und hast dem bisher widerstanden.«
    » Tja, und das ist dann wohl der Moment, in dem der tragische Schönling erkennen muss, dass er doch nicht so unwiderstehlich ist wie er immer dachte. Tut mir wirklich Leid.«
    Jaron verdrehte die Augen. »Na komm schon, tu nicht so als wolle ich dich von deinem liebsten Hobby abhalten. Ich will dir wirklich mal etwas Neues zeigen«, fügte er hinzu. Das Lächeln, das er dabei zeigte, war eine Spur weicher als die davor.
    Je weiter wir durch die fremde Stadt gingen, desto häufiger fand ich Parallelen zu einem Ort, an dem ich schon einmal gewesen war; ich konnte ihn aber nicht benennen.
    Aus einer der verwinkelten Nebenstraßen kam uns ein Mann mit toten Augen und einem Körper wie Hulk, nur ohne die grüne Farbe, entgegen, der uns ungeniert anstarrte.
    »Können Sehnsüchte paranoid werden oder weshalb hat der uns angesehen als seien wir Außerirdische, die ihm das Gehirn aussaugen wollen?«
    Jarons Mundwinkel verzogen sich. »Vielleicht solltest du nicht alles sehen, was deine Freundin dir in die Hand drückt«, bemerkte er. »Und er ist nicht paranoid, er war nur kurz verwundert. Man sieht mich sonst nur mit einer Frau – Lillian. Du bist nicht ihr Ebenbild, siehst ihr aber recht ähnlich, weshalb er wahrscheinlich zwei Mal hingucken musste.«
    Nachbarschaftsstalking á la Desperate Housewifes . Wo ist da die Sehnsucht?
    »Ic h sehe ihr nicht …«, begann ich aus einem Reflex heraus.
    »Du hast lange nicht mehr in den Spiegel geblickt, oder? Ihr würdet nicht als Zwillinge durchgehen, aber eine Ähnlichkeit kannst du nicht abstreiten – selbst Darragh ist das schon aufgefallen.«
    »Gut, vielleicht im Aussehen, aber ansonsten ist sie im Gegensatz zu mir …«
    Es war das erste Mal, dass Jaron seine Freundin nicht verte idigte, wenn ich über sie sprach – was keine Seltenheit war. Nicht einmal sein böser Blick war überzeugend.
    Bevor er es sich anders überlegen konnte, hielten wir vor einem kle inen holzverkleideten Bungalow, mit bullaugenähnlichen Fenstern und einem schneeweißen Dach.
    »Du kannst schon einmal reingehen, ich komm gleich nach«, sagte J aron. Er selbst verschwand zusammen mit Ian in einem halb so großen

Weitere Kostenlose Bücher