Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
zwischen die Lippen. Dann gingen sie über den Friedhof mit seinen verwitterten Grabstätten. Brinkman betrachtete die Mausoleen. »Ziemlich clever, die Toten über der Erde zu bestatten, schließlich will keiner, dass bei einer der zahlreichen Überflutungen die tote Großmutter ungebeten zu Besuch erscheint«, bemerkte er und verzog die Lippen zu einem Grinsen. Montoya und Bentz verdrehten die Augen und seufzten, doch Brinkman ließ sich davon nicht beeindrucken. »Was hat das zu bedeuten, dass ein und dieselbe Person auch die zweite Leiche findet, noch bevor diese kalt geworden ist?«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. Die unangezündete Zigarette hüpfte beim Sprechen auf und ab.
»Keine Ahnung«, sagte Montoya. »Aber ich werde es herausfinden. Und dazu werde ich mich mit Schwester Lucy unterhalten.«
»Sieht ganz so aus, als wüsste sie mehr, als sie zugibt.«
Sie erreichten das Friedhofstor und traten hinaus in den angrenzenden Klostergarten. Brinkman ließ sein Feuerzeug aufflammen und blieb stehen, um die Zigarette anzuzünden. Der Geruch nach brennendem Tabak wehte verlockend durch die Nacht, die rote Spitze glühte wie ein winziges Signalfeuer.
»Was ist mit dem Priester?«, fragte Brinkman.
»Um den kümmere ich mich«, sagte Bentz. »Sobald sein Rechtsanwalt auftaucht.«
Brinkman stieß eine Rauchwolke aus. »Bist du schon im Zimmer des Opfers gewesen?«
»Noch nicht. Zaroster erledigt das, wie sie ja eben gesagt hat.«
»Dann gehe ich mal zu ihr«, sagte Brinkman. »Wenn Zaroster dabei ist, wird die Mutter Oberin wenigstens keinen Herzinfarkt bekommen, weil sich ein Mann allein im Schlaftrakt der heiligen Jungfrauen aufhält.« Damit drehte er sich um und marschierte von dannen, eine Rauchfahne hinter sich herziehend.
»Unerträglich«, sagte Bentz. Montoya und er gingen auf die Doppeltür zu, die zu dem Gang führte, welcher Konvent und Kapelle miteinander verband.
»Mehr als unerträglich«, bestätigte Montoya und hielt Bentz die Tür auf.
Drinnen war mit dem Eintreffen der Polizei, die über den Notruf von dem Mord in St. Marguerite verständigt worden war, jeglicher Sinn für Schicklichkeit und Anstand verlorengegangen. Das altehrwürdige Kloster glich jetzt einem Tollhaus.
Nicht nur der Friedhof, sondern auch die Kapelle, die Kathedrale, die Außengebäude und -anlagen sowie der Konvent waren mit Polizeiband abgesperrt und von der Außenwelt abgeriegelt worden. Die Polizei kroch überall in den alten Gemäuern herum, vor der Kathedrale lauerte die Presse, Reporter mit Kamerateams und Flutlicht setzten die Stadt davon in Kenntnis, dass im Kloster von St. Marguerite ein weiterer Mord geschehen war.
Die Umstände waren beinahe identisch mit denen bei dem Mord an Camille Renard.
Wieder eine Nonne.
Wieder ein Brautkleid.
Wieder ein Altartuch, das von der Mutter Oberin über das Gesicht des Opfers gebreitet worden war.
Auch wenn der Mörder diesmal auf dem Friedhof und nicht in der Kapelle zugeschlagen hatte.
Warum?
Die Polizei nahm im Kloster bereits Vernehmungen vor, andere Polizisten patrouillierten durch die angrenzenden Straßen in der Hoffnung, auf einen Verdächtigen oder auf irgendetwas Außergewöhnliches zu stoßen, das ihnen dabei helfen konnte, diesen perversen Kerl festzusetzen.
Doch natürlich war es möglich, dass der Killer längst über alle Berge war.
Montoya ging zum Büro der Mutter Oberin. Es stellte sich heraus, dass die Leiche abermals um Mitternacht gefunden worden war, die Kirchenglocken hatten noch geläutet. Schwester Lucy hatte die Polizei gerufen und die Mutter Oberin geweckt, in genau dieser Reihenfolge, was Schwester Charity ganz und gar nicht gefiel. Acht Minuten später war der erste Officer eingetroffen.
Schwester Lucy.
Wieder einmal.
Was hatte das zu bedeuten? Brinkman hatte recht – dass sie die beiden Leichen gefunden hatte, machte sie verdächtig. Woher um alles in der Welt hatte sie davon gewusst?
Montoya war um null Uhr siebenundzwanzig am Tatort erschienen. Er hatte in der Nähe des Friedhofs geparkt, gerade als der Nachrichten-Van eines heimischen Senders in die Straße einbog und in eine freie Lücke neben einem der Einsatzfahrzeuge setzte.
Genau wie der Rest des Departments war Montoya davon ausgegangen, dass der Mord an Schwester Camille ein Einzelfall gewesen war. Er hatte geglaubt, sie sei aus persönlichen Gründen umgebracht worden, weil sie sich mit einem Priester eingelassen hatte und schwanger geworden war. Camille, so
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