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Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen

Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen

Titel: Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ruhestätte in der fünften Reihe von unten gefunden.
    Val fuhr mit den Fingern über die Inschrift, während sich Slade gegen eine hohe Leiter lehnte, über die man Zugang zu den höheren Nischen hatte. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie oft hierhergekommen. Zunächst war ihr Vater gestorben, an Kehlkopfkrebs, dann ihre Mutter an einem Gehirnaneurysma. Sie war ihrem Mann in weniger als zwei Jahren gefolgt, kurz nach Weihnachten, genau in dem Jahr, in dem Camille beschlossen hatte, für eine Weile zu Val und Slade nach Texas zu ziehen. Gene war bei seinem Tod fast siebzig gewesen, Nadine dagegen erst achtundfünfzig. Manchmal fragte sich Valerie, ob das Aneurysma von all dem Stress herrührte, den Camille und sie ihrer Adoptivmutter bereitet hatten, obwohl jeder Arzt, mit dem sie über ihren Verdacht gesprochen hatte, nur den Kopf schüttelte.
    Mein Gott, das war eine schlimme Zeit gewesen.
    Val verbannte die Erinnerung daran und sagte: »Ich meine … es ist fast so, als wäre Camille zwei Personen gewesen.«
    »Eine gespaltene Persönlichkeit?«, fragte Slade, doch sie verneinte.
    »Nein, anders. Es gibt doch Menschen, die ein öffentliches Leben und ein verborgenes Leben führen. Camille hat auch ein solches Geheimleben geführt.«
    »Einer hat davon gewusst«, sagte Slade und trat zu ihr. Er berührte sie auf eine vertraute, intime Art und Weise an der Schulter.
    »Ja, jemand hat davon gewusst.« Die Person, mit der sie geschlafen hatte, der Mann, den Cammie als ihren »Geliebten« bezeichnet hatte. Wer auch immer er sein mochte. Frank O’Toole? Oder der Unbekannte, der sie geschwängert hatte?
    Wenn Cammie sich ihr doch nur anvertraut hätte!
    Vielleicht hat sie gedacht, das Kind sei von Frank.
    Seufzend betrachtete Val die Inschrift auf der Urnennische ihrer Eltern. Gene und Nadine, Namen, die sich reimten, wie sie oft gescherzt hatten. Ihr Vater hatte immer behauptet, wenn sie und Camille nicht schon Namen gehabt hätten, hätte er sie Valdine genannt und Camille Camdeen. Dabei hatte er stets gezwinkert, während Val die Augen verdrehte.
    Sie waren gute Eltern gewesen. Gene, ein Schweißer, der bei der Eisenbahn beschäftigt gewesen war, und Nadine, eine Aushilfslehrkraft für öffentliche Schulen. Sie hatten ihre Töchter in St. Timothy angemeldet, einer Konfessionsschule.
    »Es schadet doch nichts, neben dem Abc auch ein wenig Religion mitzubekommen, oder?«, hatte Gene gesagt. Und Nadine hatte genickt.
    Doch die beiden hatten sich dabei einen Blick zugeworfen, und einmal hatte Valerie mitbekommen, wie sie sich deswegen stritten. Sie war auf dem Weg zur Treppe ins Erdgeschoss gewesen, als sie die Stimmen ihrer Eltern durch die angelehnte Schlafzimmertür dringen hörte.
    »Du darfst mit dem Schulgeld nicht in Rückstand kommen!«, sagte Nadine mit einem schrillen Flüstern. Sie war klein und zierlich und trotzdem eine starke Frau, deren Überzeugungen von ihrem Glauben gestärkt wurden.
    »Wir sind damit nicht im Rückstand. Das war ein Versehen. Ich kümmere mich darum.«
    Gene war nicht nur ein Dutzend Jahre älter, sondern auch dreißig Zentimeter größer als seine Frau, seine restlichen Haare bildeten einen grauen Kranz um seine Glatze, und er roch immer nach Tabak.
    Bei den Worten ihrer Mutter war Val stehen geblieben, die Hand auf dem Treppenpfosten, und hatte angestrengt auf den Türspalt gestarrt. Von diesem Winkel aus konnte sie den Ganzkörperspiegel ihrer Mutter sehen und das Spiegelbild ihres Vaters, der gerade aus seinem schmutzigen Arbeitsoverall stieg.
    Fast hätte sie den Blick abgewendet, aber sie konnte es nicht. »Hör mal, Gene, ich habe es Mary versprochen, okay? Privatschule. Katholisch. Wir dürfen das nicht vermasseln.«
    Seine Beine waren weiß, aber muskulös, seine Unterhose schwarz wie die Nacht. Ein ehemals sportlicher Mann, der in späteren Jahren einen kleinen Bierbauch angesetzt hatte und der jetzt dabei war, sich ganz auszuziehen. Plötzlich schien er sie zu bemerken. Valerie errötete und eilte schnell die Treppe hinunter. Keiner von ihnen hatte diesen Moment je erwähnt.
    Merkwürdig, dachte sie nun, wie so oft, wenn sie hier gestanden hatte, dass sie später nicht einmal das Grab ihrer leiblichen Eltern besucht hatte, die letzte Ruhestätte jener beiden Menschen, die für sie nicht mehr waren als verschwommene Erinnerungen. Wo zum Teufel lagen sie begraben? Die Frau, die mit ihnen befreundet gewesen war und die sie und Camille vermutlich ins Waisenhaus gebracht hatte,

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