Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
ausgeprägter. »Anwälte als Sprachrohr zu benutzen entspricht nicht dem Wunsch Gottes. Ich weiß, dass der Ruf der Kirche, die ich von ganzem Herzen liebe, in den letzten Jahren sehr zu Schaden gekommen ist. Es gab zu viele hässliche Skandale, die ans Tageslicht kamen.« Sie blickte gequält drein und zog in trauriger Bestürzung die Augenbrauen zusammen. »Aber das ist Satans Werk, wohingegen
wir
Gottes Arbeit verrichten, und aus genau diesem Grund möchte ich Ihnen die Wahrheit sagen, bevor noch jemand, noch eine meiner Novizinnen, zu Schaden kommt.«
Sie stand auf und trat ans Fenster, blickte hinaus auf den Hof. »Sie haben mich nach Schwester Lea gefragt, was mich nicht überrascht. Ich wusste, dass ihr Name zur Sprache kommen würde.«
»Warum?«, hakte Bentz nach.
»Weil auch sie ein Verhältnis mit Vater O’Toole hatte.« Charity seufzte. »Die Mädchen, die hierherkommen, stehen größtenteils noch an der Schwelle zur Frau. Sie sind jung, voller Leben und Lebensfreude, erfüllt vom Heiligen Geist. Oft sind sie leichtfertig und naiv, manche sogar rebellisch, doch sie sind gutherzig und willens, Gott zu dienen, zu lernen. Ich bin streng mit ihnen, ja. Oftmals brauchen sie Struktur und Disziplin, doch am Ende werden aus ihnen Engel der Gnade, hier auf Erden. Ach, was rede ich denn da? Der Punkt ist, dass sie leicht zu beeindrucken sind, und sie sind Frauen. Sie haben Hormone und Träume, und viele sind sehr romantisch, stehen in der Blüte ihrer Jugend und …« Charity zog die Hand aus einer Tasche ihres Habits und winkte ab.
»Wie dem auch sei, mir ist nicht entgangen, dass sich Schwester Lea auf gefährlichen Boden begeben hat. Sie hat sich in Vater O’Toole verliebt, was an sich kein Wunder ist: Er sieht gut aus, ist temperamentvoll und männlich.« Sie warf Montoya einen Blick zu. »Wie ich schon sagte: Nonnen, selbst eine so alte wie ich, sind Frauen. Wir bemerken so etwas, auch wenn wir uns dagegen wehren.« Sie räusperte sich und ließ die Hand wieder in den schwarzen Falten ihrer Ordenstracht verschwinden. »Ich war nicht die Einzige, der diese … ähm … Anziehung aufgefallen ist. Ich habe gehört, was die jüngeren Nonnen tuschelten, und Vater Frank … nun, so wie die Nonnen Frauen sind, ist er eben ein Mann. Es war eine schwierige Situation.
Ich habe mit Schwester Lea geredet. Um genau zu sein: Sie ist zu mir gekommen, und obwohl sie nicht darüber sprechen wollte, was zwischen ihr und Vater Frank vorgefallen war, war sie einverstanden, den Konvent zu verlassen, aber nur zu ihren Bedingungen. Sie hatte ihre Überzeugung verloren, war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich eine Nonne sein wollte. Ich habe sie gehen lassen.«
»Und Sie haben nicht nachgehakt, was aus ihr geworden ist?«, fragte Bentz.
Die ältere Frau wandte sich ihm zu und durchbohrte ihn mit einem Blick, der Granit hätte löchern können. »Nein, Detective, das habe ich nicht. Ich habe sie gebeten, mir Bescheid zu geben, sobald sie sich endgültig entschieden hat, und ich habe eine Postkarte bekommen, auf der stand, sie werde die Kirche verlassen … Warten Sie, vielleicht finde ich die auch noch.« Schwester Charity trat wieder an ihre Unterlagenschublade und sah in mehreren Ordnern nach, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie reichte Bentz eine Postkarte von der St. Paul’s Cathedral in San Francisco, deren Zwillingstürme hoch hinauf in den Dunstschleier ragten, der über der Stadt hing. Auf die Rückseite hatte Lea geschrieben, sie sei angekommen, aufgeregt, hier, in dieser Stadt, zu sein, und dass sie noch mit ihren spirituellen Problemen befasst sei.
»Dürfen wir die Karte mitnehmen?«, fragte Montoya.
Schwester Charity nickte. »Natürlich.«
»Haben Sie mit ihren Angehörigen gesprochen?«, erkundigte sich Bentz, während Montoya die Postkarte vorsichtig zu der Weihnachtskarte in die Beweismitteltüte schob.
»Nein«, antwortete sie bedauernd. »Leas Eltern waren geschieden. Ihre Mutter starb vor ein paar Jahren, ein Autounfall, soweit ich weiß, und der Vater und Lea hatten sich voneinander entfremdet. Er hat kurz nach der Scheidung wieder geheiratet und ist ins Ausland gezogen.« Sie kräuselte die Augenbrauen unter ihrem Nonnenschleier. »Ja, ich meine mich zu erinnern, nach Mexiko.«
»Gibt es irgendwelche Geschwister?«
»Nein, aber ich dachte, das wüssten Sie.« Sie wirkte aufrichtig überrascht. »Schwester Lea war ein Einzelkind, sie wurde vor langer Zeit adoptiert.«
Montoyas
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