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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Mund zu. Napoleon wandte sich an Joseph: »Wieder Unstimmigkeiten?« »Die Mädchen wollen nicht die Schleppe der Kaiserin tragen«, klagte Joseph und strich dieverschwitzten Haarsträhnen zurück. »Warum nicht?« »Sire, die Damen Bacciochi und Murat und die Fürstin Borghese meinen –« »Dann werden Ihre Kaiserlichen Hoheiten, die Prinzessinnen Joseph und Louis Bonaparte, die Schleppe allein tragen«, entschied Napoleon. »Die Schleppe ist für zwei allein viel zu schwer«, sagte Josephine, raffte ihre Betttücher zusammen und trat neben Napoleon. »Wenn wir nicht dieselben Rechte erhalten wie Julie und Hortense, dann verzichten wir auch auf dieselben Pflichten«, stieß Elisa hervor. »Halt den Mund«, fuhr Napoleon sie an. Und zu Polette, die er gut leiden kann, gewandt: »Also – was wollt ihr eigentlich?« »Wir haben denselben Anspruch auf den Rang einer Kaiserlichen Prinzessin wie diese zwei!« Polette wies mit dem Kinn auf Julie und Hortense. Napoleon zog die Augenbrauen in die Höhe: »Man sollte meinen, ich hätte soeben die Krone unseres gemeinsamen Herrn Vaters geerbt und sei im Begriffe, bei der Verteilung des Erbes meine Geschwister zu verkürzen. Meine Geschwister vergessen, dass jede Auszeichnung nur einen Gnadenbeweis von meiner Seite darstellt. Bis jetzt sogar einen sehr unverdienten Gnadenbeweis, nicht wahr?« In die darauf folgende Stille plätscherte Josephines Stimme wie eine zärtliche kleine Melodie. »Sire, ich bitte, dass Sie in Ihrer Güte Ihre Mesdames Schwestern zu Kaiserlichen Hoheiten erheben.« Sie sucht Bundesgenossinnen, ging es mir durch den Kopf, sie fürchtet sich. Vielleicht ist es wahr, was alle munkeln, vielleicht denkt er wirklich an Scheidung … Napoleon begann zu lachen. Die Szene schien ihm Riesenspaß zu machen, und wir begriffen auf einmal, dass sie ihm bereits die ganze Zeit über Riesenspaß gemacht hatte. »Gut, wenn ihr versprecht, euch ordentlich aufzuführen, dann ernenne ich euch –«
    »Sire!«, schrien Elisa und Caroline in freudigem Schreck. »Napoleone – grazie tanto!«, stieß Polette hervor.
    »Ich möchte die Probe des Krönungszuges Ihrer Majestät sehen, beginnen Sie endlich!«, wandte sich Napoleon an Despreaux. Auf irgendeinem Klavier wurde ein feierlicher Choral geklimpert, der Orgelspiel andeuten sollte. Dann teilte Despreaux sechzehn Marschallsgattinnen in acht Paare ein, und Montel zeigte ihnen, wie sie leichtfüßig graziös und gleichzeitig feierlich schreiten sollten. Dies schien plötzlich den sechzehn Damen unmöglich zu sein, weil ihnen der Kaiser mit steinerner Miene unausgesetzt auf die Füße starrte. Sie stolperten in tödlicher Verlegenheit durch den Raum, und Polette biss sich in die Hand, um einen Lachkrampf zu unterdrücken. Schließlich wurden Securier und Murat herbeigerufen. Beide schlossen sich dem Aufmarsch der Marschallinnen an und trugen feierlich ein Sofakissen auf den ausgebreiteten Handflächen, auf dem bei der Krönung die Insignien der Kaiserin ruhen werden. Nach ihnen musste ich allein einherschreiten, gleichfalls mit einem Sofakissen bewaffnet. Schließlich trat Josephine an, und ihre schleppenden Laken wurden ihr widerspruchslos von den soeben ernannten Kaiserlichen Prinzessinnen Julie und Hortense nachgetragen. In diesem Aufzug schritten wir viermal im Salon auf und ab. Das Ganze kam erst zum Stillstand, als sich Napoleon zum Gehen wandte. Wir versanken natürlich wieder im Hofknicks. Aber Joseph stürzte dem Bruder wie ein Besessener nach. »Sire! Ich flehe Sie an – Sire!« – »Ich habe wirklich keine Zeit mehr«, sagte Napoleon ungeduldig. »Sire, es handelt sich um die unberührten Jungfrauen«, erklärte Joseph und winkte Despreaux heran. Despreaux stellte sich neben Joseph auf und wiederholte: »Die unberührten Jungfrauen sind ein schwieriges Problem. Wir können nämlich keine finden!« Napoleon biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu verbergen. »Wozu brauchen Sie unberührte Jungfrauen, meine Herren?«, erkundigte er sich.
    »Majestät haben vielleicht vergessen – in der Chronik über das mittelalterliche Krönungszeremoniell in Reims, an die wir uns halten sollen, steht nämlich, dass zwölf unberührte Jungfrauen mit zwei Kerzen in der Hand nach der Salbung Seiner Majestät an den Altar zu treten haben. Wir haben bereits an eine Kusine des Marschalls Berthier und eine meiner Tanten mütterlicherseits gedacht –«, stotterte Despreaux, »aber beide Damen sind bereits – sie sind nicht

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