Désirée
–«
»Sie sind zwar unberührt, aber bereits über vierzig«, dröhnte aus dem Hintergrund Murats Stimme. Murat, der Kavallerieoffizier, hatte seine höfische Würde vergessen. »Ich habe wiederholt den Wunsch geäußert, auch Frankreichs alten Adel an den Krönungsfeierlichkeiten, die eine Angelegenheit des ganzen französischen Volkes darstellen, teilnehmen zu lassen. Ich bin überzeugt davon, dass Sie in den Kreisen des Faubourg St. Germain einige geeignete junge Mädchen finden werden, meine Herren.« Worauf wir uns wieder verneigten, da Napoleon endgültig den Salon verließ. Dann wurden Erfrischungen herumgereicht, und Josephine ließ mich durch eine ihrer Hofdamen zu sich aufs Sofa bitten. Sie wollte mir beweisen, dass sie sich über meine Auszeichnung freute. Da saß sie nun zwischen Julie und mir und leerte in hastigen Schlucken ein Glas Champagner. Das zarte Gesicht schien in den letzten Monaten noch kleiner geworden zu sein, die Augen unter der Silberschminke wirkten unnatürlich groß, und die wunderbare Emailleschicht ihrer Schminke hatte während des langen Nachmittags winzige Sprünge bekommen. Zwei haarfeine Linien zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln und vertieften sich in Josephines angestrengtem Lächeln. Aber die nach aufwärts gebürsteten Kinderlöckchen wirkten wie immer rührend jung. »Le Roy wird nicht imstande sein, mir innerhalb von zweiTagen eine himmelblaue Toilette zu liefern«, bemerkte ich. Josephine dagegen vergaß in ihrer Erschöpfung – sie hat heute Vormittag bereits stundenlang ihre Krönungsroben probiert –, dass sie sich schon lange nicht mehr an ihre Vergangenheit erinnern darf, und meinte: »Paul Barras hat mir einmal Saphirohrgehänge geschenkt, wenn ich sie finden kann, will ich sie ihnen gern zu Ihrer blauen Toilette borgen.« – »Madame sind zu gütig, aber ich glaube –«, weiter kam ich nicht, wir wurden unterbrochen. Joseph stand mit aufgeregt zuckenden Mundwinkeln vor uns. Josephine sah auf. »Was ist denn schon wieder passiert?« »Seine Majestät lässt Ihre Majestät bitten, sofort ins Arbeitskabinett zu kommen«, meldete er. Josephine zog die dünnen Augenbrauen in die Höhe. »Neue Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Krönung, lieber Schwager?«
Joseph konnte seine Schadenfreude nicht länger verbergen und beugte sich vor: »Der Papst hat soeben mitgeteilt, dass er sich weigert, Ihre Majestät zu krönen.« Der kleine geschminkte Mund formte ein spöttisches Lächeln. »Und womit begründet der Heilige Vater seine Weigerung?« Joseph sah sich mit gespielter Diskretion nach allen Seiten um. »Sprechen Sie nur, außer Prinzessin Julie und Madame Bernadotte hört uns niemand, und die beiden Damen gehören ja zur Familie, nicht wahr?« Joseph presste sein Kinn zurück, um ein eindrucksvolles Doppelkinn zu erzielen. »Der Papst hat erfahren, dass Seine Majestät und Ihre Majestät seinerzeit nicht kirchlich getraut wurden, und hat erklärt, nicht die – Pardon, Madame, es ist das Wort des Heiligen Vaters – nicht die Konkubine des Kaisers der Franzosen krönen zu können.«
»Und woher hat der Heilige Vater plötzlich erfahren, dass Bonaparte und ich nur bürgerlich getraut wurden?«, erkundigte sich Josephine ruhig. »Das müssen wir erst herausfinden«, gestand Joseph.
Josephine betrachtete nachdenklich das leere Glas in ihrer Hand. »Und was gedenkt Seine Majestät dem Heiligen Vater zu antworten?«
»Seine Majestät wird selbstverständlich mit dem Papst verhandeln.« »Es gibt einen sehr einfachen Ausweg«, lächelte Josephine und erhob sich. Den leeren Champagnerkelch drückte sie Joseph in die Hand. »Ich werde sofort mit Bona – mit dem Kaiser darüber sprechen.« Und bereits im Gehen: »Wir werden uns eben kirchlich trauen lassen, dann ist alles in Ordnung.« Während Joseph dem nächsten Lakaien das leere Glas in die Hand drückte und Josephine nachstürzte, um nach Möglichkeit bei der Unterredung dabei zu sein, sagte Julie nachdenklich: »Ich glaube, sie selbst hat den Papst darauf aufmerksam gemacht.« »Ja, sonst wäre sie ehrlich überrascht gewesen«, gab ich zu. Julie betrachtete ihre Hände. »Eigentlich tut sie mir Leid. Sie hat solche Angst vor einer Scheidung. Und es wäre gemein, wenn er sie plötzlich stehen ließe. Nur, weil sie keine Kinder mehr bekommen kann. Findest du nicht auch?« Ich zuckte die Achseln. »Da lässt er diese ganze Krönungskomödie im Stil von Karl dem Großen, gemischt mit dem
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