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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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plötzlich Balsam auf eine längst verheilte Wunde legt?« »Man lacht den Betreffenden aus, Désirée.« »Ja, man lacht ihn aus, den großen Kaiser der Franzosen …«

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    Paris, am Abend nach Napoleons
Krönung. (2. Dezember 1804)
    F eierlich war es und ein paar Mal komisch zugleich: die Krönung meines ehemaligen Bräutigams zum Kaiser der Franzosen. Als Napoleon mit der schweren Goldkrone auf dem Haupt auf dem Thronsessel saß, trafen sich plötzlich unsere Augen. Ich stand beinahe die ganze Zeit hinter der Kaiserin vor dem Altar und hielt ein Samtkissen mit einem Spitzentaschentuch. Es kam nämlich ganz anders, als ich geplant hatte. Jean-Baptiste erklärte zwar vorgestern dem Zeremonienmeister, dass ich zu meiner grenzenlosen Verzweiflung wegen hohen Fiebers und einer schweren Erkältung gezwungen sei, der Krönung fernzubleiben. Was Despreaux gar nicht begreifen konnte, da die anderen Marschallinnen sogar vom Totenbett aufstehen würden, um in Notre-Dame zu erscheinen. Ob ich nicht doch kommen könne. »Madame la Maréchale würde durch ihr Niesen die Orgelmusik übertönen«, gestand ihm Jean-Baptiste.
    Ich blieb auch wirklich den ganzen Tag im Bett. Um die Mittagszeit kam Julie, die von meiner plötzlichen Erkrankung gehört hatte, sehr aufgeregt zu mir und gab mir heiße Milch mit Honig zu trinken. Es schmeckte sehr gut, und ich traute mich nicht einmal, ihr zu gestehen, dass ich gar nicht krank war. Gestern Vormittag wurde es mir aber im Bett zu langweilig, ich zog mich an und ging ins Kinderzimmer, und Oscar und ich machten einen Nationalgardisten kaputt, das heißt, eine Puppe, die einen Nationalgardisten vorstellen sollte. Wir wollten sehen, womit der Kopf ausgestopft war. Es stellte sich heraus, dass es Sägespäne waren. Als plötzlich der Fußboden mit ihnen bestreut war, mussten wir schnell im ganzen Zimmerherumrutschen, um wieder sauber zu machen. Wir beide, Oscar und ich, haben nämlich große Angst vor Marie, die von Jahr zu Jahr strenger mit uns wird.
    Plötzlich ging die Tür auf, und Fernand meldete Napoleons Leibarzt an. Ehe ich sagen konnte, dass ich Doktor Corvisart in fünf Minuten in meinem Schlafzimmer empfangen werde, hatte Fernand, dieses Trampeltier, den Doktor schon ins Kinderzimmer gewiesen. Doktor Corvisart stellte seine schwarze Handtasche auf den Sattel des Schaukelpferdes und verneigte sich höflich vor mir. »Seine Majestät hat mich beauftragt, mich nach dem Befinden von Madame la Maréchale zu erkundigen. Ich freue mich, Seiner Majestät mitteilen zu können, dass Madame bereits wieder gesund ist.«
    »Herr Doktor, ich fühle mich noch sehr schwach«, sagte ich verzweifelt. Doktor Corvisart zog seine merkwürdig dreieckigen Augenbrauen, die wie angeklebt in seinem blassen Gesicht sitzen, in die Höhe: »Ich glaube, ich kann es mit meinem Gewissen als Arzt vereinen, wenn ich feststelle, dass Madame stark genug ist, um das Taschentuch Ihrer Majestät im Krönungszug zu tragen.« Und mit einer neuerlichen Verbeugung und ohne den Schatten eines Lächelns: »Seine Majestät hat mich nämlich genau unterrichtet.« Ich schluckte. Dachte flüchtig daran, dass Napoleon Jean-Baptiste mit einem Federstrich degradieren kann. Wie ausgeliefert man ihm ist, ging es mir durch den Kopf. »Wenn Sie mir wirklich raten, Herr Doktor –«, murmelte ich. Doktor Corvisart beugte sich über meine Hand. »Ich rate Ihnen dringendst, bei der Krönung zu erscheinen, Madame«, sagte er ernst. Nahm dann seine schwarze Tasche und verließ das Kinderzimmer. Am Nachmittag lieferte Le Roy meine blassrosa Toilette und die weißen Straußfedern, die ich im Haar tragen sollte. Um sechs Uhr zuckte ich zusammen, weil Kanonenschüsse die Scheibenerzittern ließen. Ich rannte in die Küche und fragte Fernand, was los sei. »Von jetzt bis Mitternacht wird jede Stunde eine Salve abgeschossen, gleichzeitig flammen auf allen Plätzen bengalische Lichter auf, man sollte Oscar in die Stadt führen, damit er die Lichter anschauen kann«, sagte Fernand und putzte mit fanatischem Eifer Jean-Baptistes vergoldeten Säbel. »Es schneit zu stark«, antwortete ich, »und das Kind hat heute Morgen etwas gehustet.« Ich ging ins Kinderzimmer hinauf, setzte mich ans Fenster und nahm Oscar auf den Schoß. Im Zimmer war es bereits ganz dunkel, aber ich machte kein Licht. Oscar und ich beobachteten die Schneeflocken, die im Schein der großen Laterne vor unserem Hause tanzten. »Es gibt eine Stadt, in der jeden Winter viele

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