Désirée
Fernand und das Küchenmädchen waren ausgegangen. In allen Theatern wurden Gratisvorstellungen gegeben. Yvette, meine neue Kammerzofe, war bereits mittags verschwunden.Julie hat mir nämlich erklärt, dass sich die Gattin eines Marschalls weder allein frisieren noch abgerissene Knöpfe an ihre Kleider nähen kann. Schließlich habe ich nachgegeben und diese Yvette ins Haus genommen, die vor der Revolution irgendeiner Herzogin die Haare gepudert hat und sich natürlich viel vornehmer vorkommt als ich. Nach dem Essen gingen wir in die Küche, ich spülte Teller und Gläser ab, und mein Marschall band sich Maries Schürze um und trocknete das Geschirr ab. »Meiner Mutter habe ich immer geholfen«, bemerkte er. Und, mit einem plötzlichen Lächeln: »Unsere Kristallgläser würden ihr gefallen haben!« Sein Lächeln verschwand. »Joseph hat mir erzählt, dass der Leibarzt des Kaisers bei dir war«, sagte er. »In dieser Stadt wissen alle immer alles über alle«, seufzte ich. »Nein, nicht alle. Aber der Kaiser weiß sehr viel über sehr viele. Das ist sein System.« Im Einschlafen hörte ich noch einmal die Kanonen donnern. Wahrscheinlich wäre ich auch in einem Landhaus in der Nähe von Marseille sehr glücklich geworden, dachte ich. In einem Landhaus mit einem sauberen Hühnerhof. Aber weder Napoleon, Kaiser der Franzosen, noch Bernadotte, Marschall von Frankreich, haben für Hühnerzucht etwas übrig. Ich erwachte, weil mich Jean-Baptiste an den Schultern rüttelte. Es war noch ganz dunkel. »Müssen wir denn schon aufstehen?«, fragte ich erschrocken. »Nein, aber du hast im Schlaf so bitterlich geschluchzt, dass ich dich aufwecken musste. Hast du etwas Hässliches geträumt?« Ich versuchte mich zu erinnern. »Ich bin mit Oscar zu einer Krönung gegangen«, sammelte ich Fetzchen meines Traumes, die mir noch bewusst waren, mühsam zusammen. »Wir mussten unbedingt in die Kirche hinein, aber es standen so viele Menschen vor dem Portal, dass wir gar nicht durchkommen konnten, wir wurden herumgeschoben und herumgestoßen, die Menschenmassen wurden immer dichter, ich hieltOscar an der Hand und – ja, und plötzlich waren wir gar nicht mehr von Menschen umgeben, sondern von lauter Hühnern, die uns zwischen den Beinen herumliefen und so schrecklich gackerten …« Ich drückte mich an Jean-Baptiste. »Und das war so schlimm?«, fragte er nur, es klang beruhigend und sehr zärtlich. »Ja, das war sehr schlimm. Die Hühner gackerten wie – weißt du, wie aufgeregte und neugierige Menschen. Aber das war nicht das Ärgste. Das Ärgste waren die Kronen.« – »Die Kronen?« – »Ja, Oscar und ich trugen nämlich Kronen, und diese Kronen waren furchtbar schwer. Ich konnte meinen Kopf kaum aufrecht halten, aber ich wusste die ganze Zeit, dass meine Krone herunterfallen würde, wenn ich nur einen Augenblick lang den Kopf beugte. Und Oscar – du, Oscar hatte auch eine Krone auf dem Kopf, die viel zu schwer für ihn war. Ich sah, wie sein kleiner magerer Hals ganz steif wurde, um nicht nachzugeben, und ich hatte solche Angst, das Kind könnte unter der Krone zusammenbrechen. Und – ja, dann hast du mich gottlob aufgeweckt. Es war ein schrecklicher Traum …« Jean-Baptiste schob den Arm unter meinen Kopf und hielt mich dicht an sich gedrückt. »Es ist ganz natürlich, dass du von einer Krönung geträumt hast, in zwei Stunden müssen wir aufstehen und uns für die Zeremonie in Notre-Dame ankleiden. Aber wie bist du nur auf die Hühner gekommen?« Doch darauf gab ich keine Antwort. Ich versuchte, die Erinnerung an den hässlichen Traum zu verscheuchen und weiterzuschlafen. Es hatte aufgehört zu schneien. Aber es war noch kälter als gestern Abend. Trotzdem hörten wir, dass sich das Volk von Paris schon um fünf Uhr morgens vor Notre-Dame und längs des Weges, den die vergoldeten Kutschen des Kaisers, der Kaiserin und ihrer Familien nehmen sollten, aufgestellt hatte. Jean-Baptiste und ich mussten uns im Palais des Erzbischofs einfinden, dort sollte derKrönungszug zusammengestellt werden. Während Fernand Jean-Baptiste beim Anlegen der Marschallsuniform behilflich war und noch schnell auf jeden einzelnen Goldknopf hauchte und ein letztes Mal mit einem Putzlappen darüber fuhr, befestigte Yvette die weißen Straußfedern in meinem Haar. Ich saß vor meinem Toilettentisch und starrte entsetzt in den Spiegel und fand, dass ich mit meinem Kopfschmuck wie ein Zirkuspferd aussah. Jeden Augenblick rief Jean-Baptiste vom anderen
Weitere Kostenlose Bücher