Désirée
Ende des Zimmers: »Bist du endlich fertig, Désirée?« Aber die Straußfedern wollten noch immer nicht richtig sitzen. Plötzlich riss Marie die Tür auf. »Das ist soeben für die Marschallin abgegeben worden! Von einem Lakaien in der Livree des kaiserlichen Haushaltes!« Yvette nahm ihr das Päckchen ab und stellte es vor mich auf den Toilettentisch. Marie rührte sich natürlich nicht aus dem Zimmer, sondern starrte neugierig auf das Kästchen aus rotem Leder, das ich aus der Papierhülle schälte. Jean-Baptiste schob Fernand beiseite und trat hinter mich. Ich hob den Blick und begegnete im Toilettenspiegel seinen Augen. Sicher hat sich Napoleon wieder etwas Schreckliches ausgedacht, und Jean-Baptiste wird wütend sein, dachte ich. Und meine Hände zitterten so, dass ich das Lederkästchen nicht öffnen konnte. »Lass mich«, sagte Jean-Baptiste schließlich, drückte auf einen Verschluss, und das Kästchen sprang auf. »Oh –«, hauchte Yvette. »Mhm«, brummte Marie bewundernd, Fernand dagegen zog hörbar den Atem ein. Eine Kassette aus funkelndem Gold war zum Vorschein gekommen. Den Deckel schmückte ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Verständnislos starrte ich das Gefunkel an.
»Mach die Kassette auf«, sagte Jean-Baptiste. Ich fingerte ungeschickt daran herum, packte schließlich energisch den Goldadler zwischen den ausgebreiteten Flügeln anund hob ihn in die Höhe. Der Deckel löste sich. Die Kassette war mit rotem Samt ausgeschlagen und auf dem Samt funkelten – Goldstücke. Ich wandte mich um und sah Jean-Baptiste an: »Kannst du das verstehen?« Aber ich bekam keine Antwort. Jean-Baptiste starrte nur empört auf die Münzen, sein Gesicht war ganz blass geworden. »Es sind Goldfranken«, murmelte ich und begann geistesabwesend die oberen Münzen aus der Kassette zu nehmen und zwischen meine Puderdose, den Haarbürsten und Schmuckstücken auf den Toilettentisch auszubreiten. Da raschelte etwas. Ich zog zwischen den Münzen ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Napoleons Handschrift. Die großen krausen Buchstaben. Zuerst tanzten sie vor meinen Augen, dann formten sie sich zu Worten.
»Madame la Maréchale. Sie hatten die Güte, mir in Marseille Ihre heimlichen Ersparnisse zu borgen, um mir die Reise nach Paris zu ermöglichen. Diese Reise hat mir Glück gebracht. Es ist mir ein Bedürfnis, am heutigen Tage diese Schuld zu begleichen und Ihnen zu danken. N.«
Und als Nachschrift: »PS. Es handelte sich damals um Fr. 98.–«
»Es sind achtundneunzig Goldfrancs, Jean-Baptiste, aber ich habe ihm damals das Geld nur in Assignaten geliehen.«
Mit grenzenloser Erleichterung stellte ich fest, dass Jean-Baptiste lächelte. »Ich hatte mein Taschengeld zusammengespart, um dem Kaiser eine anständige Uniform dafür zu kaufen, seine Felduniform war schon so schäbig, aber dann brauchte er das Geld, um Schulden zu bezahlen und die Marschälle Junot und Marmont aus ihren Gasthöfen auszulösen«, fügte ich hinzu.
Kurz vor neun Uhr kamen wir im Palais des Erzbischofs an. Wir wurden in einen Raum im oberen Stockwerk geführt, begrüßten dort die anderen Marschälle undihre Frauen und bekamen heißen Kaffee zu trinken. Dann stellten wir uns ans Fenster. Vor dem Portal von Notre-Dame spielten sich aufregende Szenen ab. Sechs Grenadier-Bataillone, unterstützt von Gardehusaren, versuchten Ordnung zu halten. Obwohl die Tore des Domes bereits seit sechs Uhr morgens für die Eingeladenen geöffnet waren, wurde noch im Innern von Notre-Dame fieberhaft an der Ausschmückung gearbeitet. Ein doppeltes Spalier von Nationalgardisten drängte die neugierigen Menschenmassen zurück. »Achtzigtausend Mann bewachen den Krönungszug des Kaisers«, hatte Murat, der als Gouverneur von Paris für dieses Aufgebot verantwortlich ist, Jean-Baptiste anvertraut.
Plötzlich ließ der Polizeipräfekt alle Zufahrtsstraßen für Wagenverkehr absperren. So kam es, dass die eingeladenen Damen und Herren zu Fuß auf das Portal zusteuerten. Nur wir, die am Krönungszug teilnehmen sollten, durften im Palais des Erzbischofs unsere Überkleider ablegen. Die anderen Gäste mussten ohne Mantel in Notre-Dame erscheinen, und mir wurde ganz kalt beim Anblick der Damen, die ihre Wagen verlassen hatten und nun in dünnster Seidentoilette durch den Frost trippelten. Da ereignete sich etwas Komisches. Eine Gruppe dieser Damen stieß zufällig mit der Prozession der obersten Richter zusammen. Die Richter waren in Überwürfe aus rotem Tuch
Weitere Kostenlose Bücher