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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Monate lang der Schnee liegt. Nicht nur während ein paar Tagen wie bei uns. Und der ganze Himmel sieht dort wie ein frisch gewaschenes Laken aus«, sagte ich. »Und weiter?«, fragte Oscar. »Weiter nichts«, sagte ich. »Ich habe geglaubt, du erzählst eine neue Geschichte«, meinte Oscar enttäuscht. »Es ist keine Geschichte, es ist wahr«, sagte ich. »Wie heißt die Stadt?«, wollte Oscar wissen. »Stockholm.« »Wo ist Stockholm?« »Weit, weit fort. Beim Nordpol, glaube ich.«
    »Gehört Stockholm dem Kaiser?«
    »Nein, Oscar, Stockholm hat einen eigenen König.« »Wie heißt der König?«
    »Das weiß ich nicht, Liebling.« Wieder donnerten die Kanonen. Oscar schreckte zusammen und presste unwillkürlich sein Gesicht an meinen Hals. »Du musst keine Angst haben, es sind nur Kanonenschüsse zu Ehren des Kaisers.« Oscar hob wieder den Kopf. »Ich habe doch keine Angst vor Kanonen, Mama. Und später einmal werde ich Marschall von Frankreich, so wie Papa.« Ich sah den Schneeflocken zu. Ich weiß nicht, warum, aber ich dachte noch immer an Persson, die Schneeflocken hatten mir seinPferdegesicht in Erinnerung gebracht. »Vielleicht wirst du ein tüchtiger Seidenhändler wie dein Großpapa«, sagte ich. »Aber ich will Marschall werden. Oder Sergeant. Papa hat mir gesagt, dass er Sergeant war. Und Fernand war auch Sergeant.« Er wurde eifrig. Etwas Wichtiges war ihm eingefallen: »Fernand hat mir gesagt, dass ich morgen mit ihm zur Krönung gehen darf.«
    »O nein, Oscar, Kinder dürfen nicht in die Kirche mitgenommen werden. Mama und Papa haben keine Eintrittskarte für dich bekommen.«
    »Aber Fernand will sich mit mir vor der Kirche aufstellen. Da können wir den ganzen Krönungszug sehen, hat Fernand gesagt. Die Kaiserin und Tante Julie und –«, er atmete tief – »und den Kaiser mit der Krone, Mama! Fernand hat es mir versprochen!« »Es ist viel zu kalt, Oscar, du kannst nicht viele Stunden vor Notre-Dame stehen. Und in dem furchtbaren Gedränge würde so ein kleiner Mann wie du ganz zertreten werden.«
    »Bitte, Mama – bitte, bitte!«
    »Ich werde dir genau beschreiben, wie alles war, Oscar.« Zwei kleine Arme umschlangen mich, und ich bekam einen süßen und sehr nassen Kuss. »Bitte, Mama! Wenn ich verspreche, jeden Abend meine Milch auszutrinken?«
    »Es geht nicht, Oscar, wirklich nicht. Es ist so kalt, und du hast wieder Husten. Sei doch vernünftig, Liebling!«
    »Wenn ich noch heute die ganze Flasche mit der hässlichen Hustenmedizin austrinke, Mama? Darf ich dann?«
    »In dieser Stadt Stockholm gleich beim Nordpol gibt es – ja, einen breiten See mit grünen Eisschollen –«, begann ich, um ihn abzulenken. Aber Stockholm interessierte ihn überhaupt nicht mehr.
    »Ich will die Krönung sehen, Mama, ich will so gern, so furchtbar gern!« Er schluchzte. »Wenn du groß bist«, hörte ich mich sagen, »wenn du groß bist, darfst du dieKrönung sehen.« »Wird sich denn der Kaiser später wieder krönen lassen?«, fragte Oscar skeptisch. »Nein, das nicht. Wir werden eben zu einer anderen Krönung gehen, Oscar, wir beide. Mama verspricht es dir. Und es wird eine viel schönere Krönung sein als die morgige, glaub mir, viel schöner …«
    »Die Marschallin soll dem Kind keinen Unsinn einreden«, kam hinter uns Maries Stimme aus dem Dunkel. »Komm, Oscar, du musst jetzt deine Milch trinken und den guten Hustensaft einnehmen, den der Onkel Doktor verschrieben hat.«
    Marie machte im Kinderzimmer Licht, und ich verließ den Platz am Fenster. Jetzt konnte ich die tanzenden Schneeflocken nicht mehr sehen. Später kam Jean-Baptiste herauf, um Oscar gute Nacht zu sagen. Oscar klagte ihm sofort sein Leid. »Mama erlaubt nicht, dass ich mit Fernand vor der Kirche stehe, um den Kaiser mit der Krone zu sehen.« – »Ich erlaube es auch nicht«, erklärte Jean-Baptiste. »Mama sagt, dass sie mit mir zu einer anderen Krönung gehen wird, später, wenn ich groß bin. Kommst du auch mit, Papa?«
    »Wer wird sich denn dann krönen lassen?«, wollte Jean-Baptiste wissen.
    »Mama, wer wird dann gekrönt werden?«, krähte Oscar. Und da ich wirklich nicht wusste, was ich antworten sollte, machte ich ein geheimnisvolles Gesicht. »Das sage ich nicht! Es wird eine Überraschung sein. Gute Nacht, Liebling, und träum etwas sehr Schönes!« Jean-Baptiste stopfte sorgsam die Bettdecke rund um unseren kleinen Sohn und löschte das Licht aus. Nach langer Zeit bereitete ich wieder selbst unser Abendbrot zu. Marie,

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