Désirée
überzeugen, dass die dicke Berthier die einzig geeignete Persönlichkeit sei, um den Kaiser zu begrüßen. Ich war nämlich sehr wütend auf Napoleon, weil er Jean-Baptiste noch immer auf das so ersehnte selbstständige Kommando möglichst weit von Paris entfernt warten ließ. Am Vormittag des Festes kam plötzlich Polette zu mir. Sie wurde von einem italienischen Violinvirtuosen und einem franzöischen Dragonerkapitän begleitet und setzte beide auf ein Sofa in meinem Salon und zog sich dann mit mir ins Schlafzimmer zurück. »Welchen von beiden hältst du für meinen Liebhaber?«, fragte sie und lachte. In den dunkelblonden Haaren unter dem schwarzen Samthütchen glitzerte Goldpuder, in den winzigen Ohren schimmerten Smaragde aus dem Familienschmuck der Fürsten Borghese, der grellgrüne Samtrock umspannte eng die sehr reizend geschwungenen Hüften, und das schwarze Samtjäckchen zeichnete erstaunlich deutlich die Spitzen ihres Busens ab. Die Augenbrauen war genauso dunkel nachgezogen wie damals, als Polette fünfzehn Jahre alt war. Aber nicht mehr mit einem Stückchen Kohle aus der Küche der Mutter, sondern mit einem feinen Pinsel. Um die schillernden Augen, die mich immer an die Augen Napoleons erinnern, lagen tiefe Schatten. »Nun, welcher von beiden ist mein Liebhaber?«, wiederholte sie. Ich konnte es nicht erraten. »Beide!«, schrie Polette triumphierend und setzte sich an meinen Toilettentisch. Da stand noch immer die Goldkassette. »Wer ist denn so geschmacklos, dir eine Schmuckkassette zu schenken, die mit diesem scheußlichen kaiserlichen Adler verziert ist?«, erkundigte sie sich.»Jetzt darfst du raten«, antwortete ich. Polette legte die Stirn in Falten. Diese Art Rätselraten machte ihr Spaß. Sie grübelte angestrengt. Plötzlich zog sie hörbar den Atem ein: »War es – sag doch, war es –?« Ich verzog keine Miene. »Ich habe die Kassette der unermesslichen Güte unseres Landesvaters zu verdanken«, sagte ich. Polette stieß einen Gassenbubenpfiff aus. Dann aufgeregt: »Ich begreife es nicht, er betrügt doch momentan Josephine mit Madame Duchâtel, du weißt, mit dieser Hofdame mit den Veilchenaugen und der langen Nase!« Ich wurde rot. »Napoleon hat an seinem Krönungstage eine alte Schuld aus den Marseiller Tagen an mich zurückgezahlt. Weiter nichts«, sagte ich empört. Polette streckte die kleinen Hände mit den Diamanten des Fürstenhauses Borghese abwehrend von sich: »Gott behüte, Kleines – natürlich, weiter nichts!« Sie machte eine Pause, schien nachzudenken. »Ich will über Mutter mit dir sprechen«, begann sie unvermittelt. »Mutter ist nämlich gestern angekommen. In aller Stille. Ich glaube, nicht einmal Fouché weiß, dass sie in Paris ist. Sie wohnt bei mir. Und du musst ihnen helfen.« – »Wem helfen?«, fragte ich verständnislos. »Den beiden – Madame Mère und auch ihm, Napoleon, dem gekrönten Knaben.« Sie lachte, aber es klang nicht echt. »Ich mache mir Sorgen. Napoleon behauptet nämlich, dass sich Mutter an das Zeremoniell zu halten und ihm nach ihrer Ankunft ihre Aufwartung in den Tuilerien zu machen hat. Stell dir das vor – mit Hofknicks und der dazugehörenden großen Oper …« Sie stockte. Ich versuchte vergeblich, mir Madame Letitia im Hofknicks vor Napoleon vorzustellen. »Er ist nämlich wütend, weil sie absichtlich ganz langsam gereist ist, um nicht bei der Krönung dabei zu sein.« Polette saugte nachdenklich an der Unterlippe. »Und er kränkt sich, weil Mutter seinen Triumph nicht mitansehen wollte. Er sehnt sich nach ihr und – Eugénie,Desirée, Madame la Maréchale – bring die beiden zusammen! Scheinbar zufällig, verstehst du? Und lass sie im Augenblick des Wiedersehens allein, dann ist es ja gleichgültig, ob das Zeremoniell eingehalten wird oder nicht! Geht das?«
»Ihr seid wirklich eine schreckliche Familie«, seufzte ich. Aber Polette nahm es mir nicht weiter übel. »Das hast du doch immer gewusst. Weißt du übrigens, dass ich die einzige von den Geschwistern bin, die Napoleone wirklich gern hat?« – »Ja, das weiß ich«, sagte ich und dachte an einen Vormittag, an dem Polette mit mir zum Kommandanten von Marseille gegangen war. »Die anderen wollen ihn nur beerben«, bemerkte Polette und begann sich die Nägel zu polieren. »Joseph scheint übrigens als Thronfolger nicht mehr in Frage zu kommen, seitdem Napoleon die beiden kleinen Söhne von Louis und Hortense adoptiert hat. Josephine plagt ihn ja Tag und Nacht, ihre Enkel
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