Désirée
Unterdessen schenkte Josephine den Marschallsgattinnen ihr kunstvoll gemaltes Lächeln. »Wie geht es Ihnen? Ihre kleine Tochter hatte Keuchhusten, ich war so betrübt, als ich es hörte …« Jede Einzelne bekam das Gefühl, dass die Kaiserin mit jeder Faser ihres Wesens seit Tagen darauf gewartet hat, gerade sie wieder zu sehen. In Josephines Kielwasser bewegten sich die Kaiserlichen Prinzessinnen. Elisa und Caroline mit arrogant zusammengekniffenen Augen, Polette sichtlich beschwipst nach einem animierten Souper, Hortense steif und ängstlich bemüht, freundlich zu sein. Und meine Julie, blass und verzweifelt gegen ihre Schüchternheit kämpfend.
Dann schritten Murat und Josephine langsam durch den Ballsaal. Napoleon folgte, die vor Aufregung leicht schnaufende Madame Berthier am Arm. Wir anderen schlossen uns an. Tausend Seidenröcke raschelten im Hofknicks. Immer wieder machte Josephine Halt, um jemandem ein paar freundliche Worte zu sagen. Napoleon zog hauptsächlich Herren ins Gespräch. Zahllose Offiziere aus der Provinz waren als Vertreter ihrer Regimenter eingeladen worden. Napoleon fragte sie nach ihren Garnisonen aus. Er schien die Anzahl der Läuse in jeder einzelnen Militärbaracke Frankreichs zu kennen. Wie locke ich ihn nur in die Loge Nr. 17, überlegte ich verzweifelt. Zuerst muss er ein paar Gläser Champagner trinken, beschloss ich. Dann wage ich es … Champagner wurde herumgereicht. Napoleon lehnte ab. Er stand auf der Bühne neben seinem Thronsessel und ließ Talleyrand und Joseph aufsich einsprechen. Josephine rief mich zu sich und sagte: »Ich habe neulich die Saphirohrgehänge nicht finden können. Es hat mir so Leid getan!« – »Majestät sind sehr freundlich, aber ich konnte sowieso nicht in blauer Toilette erscheinen.« – »Sind Sie mit Le Roys Toiletten zufrieden, Madame?« – Ich gab der Kaiserin keine Antwort. Im Gewimmel des Saales hatte ich nämlich ein rotes Quadratgesicht entdeckt. Ich kenne doch dieses Gesicht, durchfuhr es mich. Der kurze Hals steckte im Kragen einer Oberstenuniform. »Mit den Toiletten des Hauses Le Roy?«, wiederholte die Kaiserin eindringlich. – »Ja, natürlich, sehr zufrieden«, sagte ich schnell. Neben dem roten Quadratgesicht bewegte sich der Kopf einer Dame mit zitronengelb gefärbtem Haar und einer unmöglichen Frisur. Provinz, dachte ich, ein Oberst aus irgendeiner Provinzgarnison, die Frau kenne ich nicht, aber ihn … Etwas später gelang es mir, allein durch den Saal zu gehen, die ungelöste Frage ärgerte mich, und ich versuchte deshalb, unbeobachtet in die Nähe dieses Paares zu gelangen. Alle Gäste wichen vor mir zurück und flüsterten: »Madame la Maréchale Bernadotte.« Offiziere verbeugten sich tief, Damen setzten ein krampfhaftes Lächeln auf. Ich lächelte zurück, lächelte und lächelte, sodass mir schließlich die Mundwinkel wehtaten. Dann stand ich dicht neben meinem Oberst. Da hörte ich, wie ihm die Dame mit der unmöglichen Frisur zuzischelte: »Das ist also die kleine Clary!« Mit einem Schlag wusste ich, wer der Oberst war. Die Zopfperücke hatte er abgelegt, im Übrigen waren jedoch die Jahre spurlos an ihm vorübergegangen. Er war wahrscheinlich noch immer Festungskommandant in Marseille. Der kleine Jakobinergeneral, den er vor zehn Jahren verhaften ließ, ist inzwischen Kaiser der Franzosen geworden. »Erinnern Sie sich noch an mich, Oberst Lefabre?«, hörte ich mich sagen. Die Frau mit der unmöglichenFrisur verneigte sich ungeschickt. »Madame la Maréchale!«, flüsterte sie. »Die Tochter des François Clary«, sagte das Quadratgesicht gleichzeitig. Dann warteten beide verlegen auf meinen nächsten Satz. »Ich war schon sehr lange nicht in Marseille«, setzte ich fort. »Madame würden sich dort nur langweilen, ein ödes Provinznest«, sagte die Dame mit der unmöglichen Frisur und hob ihre mageren Schultern. »Wenn Sie den Wunsch haben, versetzt zu werden, Oberst Lefabre –«, begann ich und blickte in seine wasserblauen Augen. »Könnten Sie mit dem Kaiser über uns sprechen?«, rief Madame Lefabre aufgeregt. »Nein, aber mit dem Marschall Bernadotte«, antwortete ich. – »Habe den Herrn Papa sehr gut gekannt…«, begann der Oberst. Im gleichen Augenblick zuckte ich zusammen: die Festpolonaise!
Ich vergaß die Lefabres und raffte würdelos meine Schleppe zusammen und lief zurück. Kopfschüttelnd machte man mir Platz, ich benahm mich wieder einmal unmöglich. Murat sollte die Polonaise mit Julie eröffnen.
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