Désirée
Der Kaiser hatte Madame Berthier durch den Saal zu führen, und ich sollte mich mit Prinz Joseph einreihen. Der Tanz hatte bereits begonnen. Joseph stand allein neben den Thronsesseln und wartete auf mich. »Ich konnte Sie nicht finden, Désirée!«, zischte er empört. »Entschuldigen Sie«, murmelte ich, dann schlossen wir uns schnell den Tanzpaaren an. Von Zeit zu Zeit warf mir mein Schwager einen wütenden Blick zu. »Ich bin nicht gewohnt, zu warten«, knurrte er. »Lächeln Sie doch«, flüsterte ich zurück. »Lächeln Sie?« Es waren viele Blicke auf den ältesten Bruder des Kaisers und die Gattin des Marschalls Bernadotte gerichtet. Noch zwei Kontratänze, dann stürzten sich die Gäste auf das Büfett. Napoleon hatte sich ganz in den Hintergrund der Bühne zurückgezogen und sprach mit Duroc. Ich winkte einem Diener, der Champagnerherumreichte, und näherte mich Seiner Majestät. Napoleon unterbrach sofort sein Gespräch. »Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen, Madame.« – »Eine kleine Erfrischung?«, fragte ich und wies mit der aristokratischen Handbewegung, die ich bei Monsieur Montel gelernt hatte, auf den Champagner. Napoleon und Duroc nahmen ein Glas. »Auf Ihr Wohl, Madame!«, bemerkte der Kaiser höflich, trank nur einen winzigen Schluck und stellte das Glas zurück. »Ja, was ich sagen wollte, Madame –« Napoleon stockte und maß mich plötzlich von oben bis unten. »Habe ich Ihnen jemals gesagt, dass Sie sehr hübsch sind, Madame la Maréchale?« – Duroc lächelte breit, schlug die Hacken zusammen und sagte: »Wenn Majestät gestatten, möchte ich –« »Geh nur, Duroc, widme dich den Damen!«, rief ihm der Kaiser zu. Dann begann er mich wieder schweigend zu betrachten. Langsam begann ein Lächeln seinen Mund zu umspielen. »Majestät wollten mir eine Mitteilung machen«, sagte ich und stieß dann schnell hervor: »Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, so wäre ich Majestät sehr dankbar, wenn wir uns in Loge Nr. 17 begeben könnten.« Napoleon glaubte zuerst, nicht richtig gehört zu haben. Er neigte sich etwas vor, zog die Augenbrauen in die Höhe und wiederholte: »Loge Nr. 17?« Ich nickte eifrig. Napoleon ließ den Blick über die Bühne gleiten. Josephine plauderte mit zahllosen Damen, Joseph schien Talleyrand und dem schlecht gelaunten Louis einen Vortrag zu halten, die Marschallsuniformen blitzten zwischen den Tanzpaaren auf. Napoleons Augen wurden schmal und begannen zu schillern. »Schickt sich das, kleine Eugénie?«
»Sire, ich bitte, mich nicht misszuverstehen.«
»Loge Nr. 17 – das ist doch ganz eindeutig. Nicht wahr?«
Und dann schneller: »Murat wird uns begleiten, es siehtbesser aus.« Murat hatte uns ebenso wie die anderen in der Umgebung des Kaisers die ganze Zeit über aus den Augenwinkeln beobachtet. Ein Wink, und er kam herbeigeschossen. »Madame Bernadotte und ich begeben uns in eine Loge, zeig uns den Weg!« Zu dritt verließen wir die Bühne, zu dritt wanderten wir die breite Gasse entlang, die von ehrfurchtsvoll Zurückweichenden sofort gebildet wird, wenn sich der Kaiser blicken lässt. Auf der schmalen Stiege, die zu den Logen hinaufführt, fuhren einige Paare ganz verstört auseinander. Junge Offiziere sprangen geradezu aus einer Umarmung, um schnell hab Acht zu stehen. Ich fand es sehr komisch, aber Napoleon bemerkte: »Die jungen Leute haben zu freie Manieren, ich werde mit Despreaux darüber sprechen, ich wünsche einwandfreie Sitten in meiner Umgebung.« Im nächsten Augenblick befanden wir uns vor den geschlossenen Türen der Logen. »Danke, Murat.« Murats Sporen klirrten, dann verschwand er. Napoleons Blicke suchten die Nummernschilder der Türen ab. »Majestät wollten mir eine Mitteilung machen«, sagte ich. »Ist es eine gute Nachricht?« – »Ja. Wir haben das Gesuch des Marschalls Bernadotte, ein selbständiges Kommando mit ausgedehnter Zivilverwaltung zu erhalten, berücksichtigt. Ihr Gatte wird morgen zum Gouverneur von Hannover ernannt werden. Ich gratuliere Ihnen, Madame, es ist eine große und sehr verantwortliche Stellung.« »Hannover …«, flüsterte ich und hatte keine Ahnung, wo Hannover liegt. »Wenn Sie Ihren Gatten in Hannover besuchen, werden Sie ausschließlich in Königsschlössern wohnen und die erste Dame des Landes sein. Und dort rechts haben wir Loge Nr. 17!« Es waren nur wenige Schritte bis zur Logentür. »Treten Sie zuerst ein und versichern Sie sich, dass die Vorhänge dicht vorgezogen sind«, bemerkte Napoleon.
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