Désirée
als Kronprinzen einzusetzen. Und weißt du, was das Gemeinste ist?« Polette riss vor Empörung die Augen weit auf: »Sie redet ihm ein, dass er schuld an seiner kinderlosen Ehe ist! Ich bitte dich – er!«
»Ich werde Madame Letitia mit dem Kaiser zusammenführen«, sagte ich schnell. »Auf dem Fest der Marschälle. Ich werde Marie mit einem Bescheid zu dir senden. Du musst nur dafür sorgen, dass deine Mutter in der von mir bezeichneten Loge erscheint.« – »Du bist ein Schatz, Eugénie! Gott, bin ich erleichtert!« Sie fuhr mit dem Zeigefinger in ein Töpfchen Lippenschminke und tupfte ernsthaft über ihre Oberlippe. Dann presste sie die Lippen zusammen, um auch die Unterlippe zu färben. »Neulich hat eine englische Zeitung einen Skandalartikel über mich veröffentlicht. Mein kleiner Violinvirtuose hat ihn mir übersetzt. Die Engländer nennen mich einen Napoleon der Liebe. So ein Unsinn!« Sie wandte sich zu mir. »Dabeihaben wir doch eine ganz verschiedene Taktik, Napoleon und ich. Er gewinnt Angriffskriege und ich – ich verliere meine Verteidigungsschlachten!« Ein verlorenes Lächeln huschte über ihr Gesicht:
»Warum verheiratet er mich auch immer mit Männern, die mich nicht interessieren? Zuerst mit Leclerc. Und dann mit Borghese. Weißt du, meine beiden Schwestern haben es leicht, die sind wenigstens ehrgeizig. Für Menschen haben sie nichts übrig, nur für einflussreiche Beziehungen. Elisa, weil sie die Kellerwohnung nicht vergessen kann und von der Angst besessen ist, sie könnte wieder arm werden. Deshalb rafft sie jetzt zusammen, was sich nur zusammenraffen lässt. Caroline dagegen war noch so jung, als wir im Keller wohnten, dass sie sich gar nicht mehr daran erinnert. Und um sich eine richtige Kaiser- oder Königskrone aufzusetzen, ist Caroline bereit, jede erdenkliche Gemeinheit zu begehen. Ich dagegen –« »Ich glaube, deine beiden Kavaliere werden ungeduldig werden«, sagte ich. Polette sprang daraufhin sofort auf. »Du hast natürlich Recht, ich muss gehen. Ich erwarte also deinen Bescheid und sende dann unsere Madre in die Oper. Abgemacht?«
Ich nickte. »Abgemacht!« Wenn ich mir vorstelle, dass mein eigener Lausejunge, mein Oscar, jemals von mir einen Hofknicks verlangen sollte …
»Allons enfants de la patrie,
Le jour de gloire est arrivé …«
Die Geigenstimmen des großen Tanzorchesters ertranken im Jubel der Blasinstrumente. Langsam stieg ich am Arm Jean-Baptistes die Treppen hinab, um an der untersten Stufe den Kaiser der Franzosen als Gast seiner Marschälle zu begrüßen.
»Aux armes, citoyens!
Formez vos bataillons!«
Die Hymne. Das Lied von Marseille, der Gesang meiner frühen Mädchenzeit. Einst stand ich im Nachthemd auf dem Balkon unserer weißen Villa und warf unseren Freiwilligen Rosen zu. Dem Schneider Franchon und dem krummbeinigen Sohn unseres Schusters und den Brüdern Levi, die sich die Sonntagsröcke angezogen hatten, weil sie als gleichberechtigte Bürger die junge Republik gegen die ganze Welt verteidigen wollten. Diese Republik, die damals nicht einmal Geld genug hatte, um ihre Soldaten mit Stiefeln zu versorgen.
»Formez vos bataillons!
Marchons, marchons …«
Seidenschleppen rauschten, Paradesäbel klirrten, wir verneigten uns bis zur Erde. Napoleon erschien. Als ich Napoleon zum ersten Mal gesehen hatte, konnte ich gar nicht verstehen, dass man überhaupt so klein gewachsene Offiziere im Heer aufnahm. Nun unterstrich er noch seinen kleinen Wuchs, umgab sich mit den höchstgewachsenen Adjutanten, die er auftreiben konnte, und erschien in einfacher Generalsuniform. Josephines Arm glitt aus dem seinen, der kleine Kopf mit dem Diamantendiadem neigte sich zum Gruß, Murat beugte sich über ihre hoheitsvoll ausgestreckte Hand. »Wie geht es Ihnen, Madame?«, sprach der Kaiser die dicke Berthier an und wandte sich, ohne ihr Zeit zur Antwort zu lassen, sofort der nächsten Marschallsgattin zu. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Madame. Sie sollten immer in Nilgrün erscheinen, die Farbe kleidet Sie. Übrigens ist der Nil in Wirklichkeit gar nicht grün, sondern gelb. Ockergelb fließt er in meinerErinnerung.« Auf den Wangen der angesprochenen Damen entbrannten hektisch rote Flecken. »Majestät sind zu gütig«, säuselten sie. Ich überlegte, ob alle gekrönten Häupter so auftreten wie Napoleon. Oder ob er sich diese kurz abgehackten Phrasen nur zurechtgelegt hat, weil er annimmt, dass sich Monarchen auf diese Weise mit ihren Untertanen unterhalten.
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