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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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als wir am Ende des Kirchenschiffes angelangt waren, machte Murat Halt und trat zur Seite: Ich sah den Altar und die beiden goldenen Throne. Auf dem Thronsessel zur Linken saß – unbeweglich wie eine Statue – ein kleiner Herr in Weiß. Pius VII. wartete seit beinahezwei Stunden auf Napoleon … Ich trat neben Murat und wandte den Kopf. Sah Josephine auf den Altar zuschreiten, weit aufgerissen die Augen, die im Kerzenschimmer feucht zu glänzen schienen, ein verzücktes Lächeln auf den Lippen. An der untersten Stufe des Doppelthrones rechts vom Altar hielt sie an. Dicht vor mir standen nun die Kaiserlichen Prinzessinnen, die Josephines Schleppe hielten. Ich verrenkte mir beinahe den Hals, um Napoleons Einzug zu sehen. Zuerst tauchte Kellermann mit der großen Kaiserkrone auf. Nach ihm Perignon mit dem Zepter und Lefèbre mit dem Schwert Karls des Großen. Dann Jean-Baptiste mit der Kette der Ehrenlegion, hinter ihm Eugène de Beauharnais mit dem Ring des Kaisers, schließlich der gute Berthier mit dem Reichsapfel und zuletzte der hinkende Außenminister Talleyrand mit einem goldenen Drahtgestell, in das der Kaiser im Laufe der Zeremonie den Mantel fallen lassen sollte. Deutlich brausten die Klänge der Marseillaise im jubelnden Orgelspiel auf. Napoleon schritt langsam auf den Altar zu. Joseph und Louis trugen die Schleppe seines Purpurmantels. Schließlich stand Napoleon neben Josephine, hinter ihm drängten sich seine Brüder und Marschälle zusammen. Der Papst erhob sich und las die Messe.
    Nun gab Despreaux dem Marschall Kellermann ein unmerkliches Zeichen. Kellermann trat vor und hielt dem Papst die Krone entgegen. Sie schien sehr schwer zu sein, denn die zarten Hände des Papstes hatten Mühe, sie hochzuhalten. Gleichzeitig ließ Napoleon den Purpurmantel von den Schultern gleiten. Die Brüder fingen ihn auf und übergaben ihn Talleyrand. Das Orgelspiel setzte aus. Klar und feierlich sprach der Papst die Worte des Segens. Hob dann die schwere Krone hoch, um sie auf Napoleons gebeugtes Haupt zu setzen. Aber Napoleons Haupt beugte sich nicht. In die Höhe fuhren die Hände in dengoldbestickten Handschuhen und rissen mit raschem Griff die Krone an sich. Den Bruchteil eines Augenblickes hielt Napoleon die Krone in seinen erhobenen Händen. Dann setzte er sie sich langsam auf.
    Nicht nur ich war zusammengezuckt, auch alle anderen. Napoleon hatte das besprochene Krönungszeremoniell gebrochen und sich selbst gekrönt. Die Orgel jubelte, Lefèbre überreichte dem Kaiser das Schwert Karls des Großen, Jean-Baptiste legte ihm die Kette der Ehrenlegion um den Hals, Berthier drückte ihm den Reichsapfel in die Hand und Perignon das goldene Zepter. Zuletzt bedeckte Talleyrand seine Schultern mit dem Purpurmantel. Langsam stieg der Kaiser die Stufen zu seinem Thron hinan. Joseph und Louis trugen wieder die Schleppe und stellten sich zu beiden Seiten des Thrones auf. »Vivat Imperator in aeternum«, verkündete der Papst.
    Dann schlug Pius VII. das Zeichen des Kreuzes über Josephines Gesicht und küsste sie auf die Wange. Nun sollte Murat ihm Josephines Krone reichen. Aber Napoleon war die wenigen Stufen seines Thrones bereits wieder hinuntergestiegen und streckte die Hand aus. Worauf Murat nicht dem Papst, sondern Napoleon Josephines Krone übergab. Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte der Kaiser. Vorsichtig, ganz vorsichtig, um ihre Frisur nicht zu zerstören, setzte er die Krone auf Josephines Kinderlöckchen. Dann legte er die Hand unter ihren Ellenbogen, um sie die Stufen zum Thron hinaufzubegleiten. Josephine machte einen Schritt, schwankte und fiel beinahe nach rückwärts. Absichtlich hatten sie die Schleppe losgelassen – Elisa, Polette und Caroline. Zum Fallen wollten sie Josephine bringen, lächerlich wollten sie sie im Augenblick ihres größten Triumphes machen. Aber mit Aufbietung aller Kräfte hielten Julie und Hortense die schwere Schleppe fest. Napoleon packte Josephine fest am Armund stützte sie. Nein, sie fiel nicht. Nur gestolpert war sie auf der ersten Stufe des Thrones. Während junge Mädchen aus den französischen Adelsfamilien – die unberührten Jungfrauen, die Despreaux so viel Kopfzerbrechen verursacht hatten – mit Wachskerzen zum Altar schritten, zog sich der Papst mit der Geistlichkeit in die Schatzkammer zurück. Napoleon saß mit unbeweglicher Miene neben Josephine auf dem Thron. Mit halb geschlossenen Augen starrte er vor sich hin. Seit der Thronbesteigung stand ich zwischen Murat

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