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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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wurden, lernten ihn. Während der Revolution wurde natürlich alles verboten, was an die Österreicherin erinnerte. Aber jetzt haben sich diese süßen Dreivierteltakte aus dem Feindesland in Paris wieder eingeschlichen. Ich habe zwar seinerzeit bei Monsieur Montel auch Walzerschritte geübt, aber ich wusste nicht, wie man sie tanzt. Doch Jean-Baptiste, der ja vor unserer Ehe Botschafter in Wien war, zeigte sie mir. Er hielt mich dicht an sich gepresst und zählte mit Sergeantenton: »Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei.« Zuerst kam ich mir wie ein Rekrut vor,dann wurde seine Stimme ganz leise, und wir drehten und drehten uns, der Ballsaal im Luxembourg wurde zu einem wogenden Lichtermeer, und ich spürte seinen Mund in meinem Haar. »Der Kaiser hat während der Krönung mit dir kokettiert – eins, zwei, drei – ich habe es genau gesehen«, flüsterte Jean-Baptiste. »Ich habe das Gefühl gehabt, er war mit dem Herzen nicht richtig bei der Sache«, sagte ich. »Bei welcher Sache? Beim Kokettieren?«, wollte Jean-Baptiste wissen. »Sei nicht ekelhaft, ich meine natürlich bei der Krönung«, sagte ich. »Du musst auf den Takt aufpassen, kleines Mädchen.« – »Eine Krönung müsste doch eine Herzensangelegenheit sein«, beharrte ich. »Für Napoleon war sie nur eine Formalität. Man lässt sich zum Kaiser krönen und legt gleichzeitig den Eid auf die Republik ab – eins, zwei, drei –«, jemand schrie: »Auf das Wohl des Kaisers!« Gläser klirrten. »Das war dein Bruder Etienne«, sagte Jean-Baptiste. »Weitertanzen«, flüsterte ich, »immer weitertanzen …« Jean-Baptistes Mund lag wieder in meinem Haar. Die geschliffenen Glaslüster funkelten in tausend Farben und schienen zu schwanken, der ganze Saal drehte sich mit uns, wie aus weiter Ferne hörte ich die Stimmen der vielen Gäste, sie klangen wie Hühnergackern, eins, zwei, drei – nicht nachdenken, nur Jean-Baptistes Mund spüren und Walzer tanzen …
    Auf dem Nachhauseweg fuhren wir an den Tuilerien vorbei. Sie erstrahlten in Festbeleuchtung. Pagen mit lodernden Fackeln hielten Wache. Jemand erzählte uns, dass der Kaiser ganz allein mit Josephine soupiert habe. Josephine musste auf seinen Wunsch die Krone aufbehalten, weil sie ihm so gut damit gefiel. Nach dem Souper zog sich Napoleon in sein Arbeitskabinett zurück und entrollte Generalstabskarten. »Er bereitet den nächsten Feldzug vor«, erklärte mir Jean-Baptiste. Es hatte zu schneien begonnen, und viele Fackeln verlöschten.

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    Paris, zwei Wochen nach der
Kaiserkrönung.
    V or ein paar Tagen hat der Kaiser die Adler an die einzelnen Regimenter verteilt. Wir mussten uns alle auf dem Marsfeld versammeln, und Napoleon hatte wieder seinen Krönungsmantel angezogen und die große Krone aufgesetzt. Jedes Regiment erhielt eine Standarte, auf der ein vergoldeter Adler schwebte. Unter dem Adler flatterte die Trikolore. »Die Adler dürfen niemals in Feindeshand fallen«, sagte der Kaiser und versprach unseren Truppen neue Siege. Wir standen viele Stunden auf einer Tribüne und ließen die Regimenter an uns vorbeiziehen. Etienne neben mir brüllte sich selbst ganz heiser und mich beinahe taub vor lauter Begeisterung. Es schneite schon wieder, die Truppenparade nahm kein Ende, und wir bekamen alle nasse Füße. Ich hatte Zeit, alle Vorbereitungen für das Fest der Marschälle in der Oper durchzudenken. Der Zeremonienmeister hat nämlich den Marschällen angedeutet, dass sie dem Kaiser zu Ehren ein Fest veranstalten müssen. Es sollte der glänzendste Ball werden, den man sich vorstellen kann, und man hatte die Oper gemietet.
    Wir Marschallinnen hielten viele Sitzungen ab und kontrollierten die Liste der Gäste, niemand durfte vergessen und beleidigt werden. Monsieur Montel gab uns eine Lektion, in der wir lernten, wie wir dem Kaiserpaar entgegenzugehen und Napoleon und Josephine in den Saal zu geleiten hatten. Despreaux ließ uns wissen, dass der Kaiser einer Marschallin den Arm bieten werde, während einer der Marschälle die Kaiserin zu ihrem Thron führen müsse. Worauf lange hin und her überlegt wurde, welche Marschallin und welcher Marschall dieser Ehre teilhaftig werden sollte. Zuletzt wurde Murat als Gatte einerKaiserlichen Prinzessin für den Empfang der Kaiserin ausersehen. Was jedoch den Arm des Kaisers betraf, so schwankte man zwischen Madame Berthier, der ältesten Marschallsgattin, und mir, der Schwester der Kaiserlichen Prinzessin Julie. Aber es gelang mir, die anderen davon zu

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