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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Ich öffnete die Logentür und schloss sie sehr schnell hinter mir. Ichwusste genau, dass die Vorhänge zugezogen waren. »Nun, mein Kind?«, sagte Madame Letitia, als ich eintrat. »Er wartet draußen. Und er weiß nicht, dass Sie hier sind, Madame Mère«, sagte ich schnell. »Sei nicht so aufgeregt, es kann dich den Kopf nicht kosten«, meinte Madame Letitia energisch. Nein, aber Jean-Baptiste die Gouverneurstellung, dachte ich. »Ich rufe ihn jetzt, Madame«, flüsterte ich. »Die Vorhänge sind dicht zugezogen«, meldete ich draußen. Dann wollte ich dem Kaiser den Vortritt in die Loge lassen und schnell hinter ihm verschwinden. Aber Napoleon schob mich einfach in den kleinen Raum. Dort presste ich mich sofort an die Logenwand und gab ihm den Weg frei. Madame Letitia war aufgestanden. Napoleon blieb wie angewurzelt an der Tür stehen. Durch die dichten Vorhänge sickerten die Klänge eines süßen Wiener Walzers. »Mein Junge, willst du deiner Mutter nicht guten Abend wünschen?«, sagte Madame Letitia ruhig. Gleichzeitig trat sie ihm einen Schritt entgegen. Wenn sie sich nur ein ganz klein wenig verneigt, ist alles gut, dachte ich. Der Kaiser rührte sich nicht. Madame Letitia machte noch einen Schritt. »Madame Mère, welch schöne Überraschung!«, sagte Napoleon unbeweglich.
    Ein letzter Schritt, und dann stand Madame Letitia dicht vor ihm. Neigte ein wenig den Kopf und – gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ohne an das Zeremoniell zu denken, drückte ich mich nun doch am Kaiser vorbei. Dadurch bekam er einen kleinen Stoß und landete regelrecht in den Armen seiner Mutter. Als ich wieder unten im Saal erschien, trat Murat sofort auf mich zu. Die platte Nase schnüffelte wie die Schnauze eines Spürhundes. »Schon zurück, Madame?« – Ich sah ihn erstaunt an. »Ich habe der Kaiserin gesagt, dass Bernadotte sich freuen würde, wenn sie ihn ins Gespräch ziehen wollte. Und Bernadotte habe ich einen Wink gegeben, sich der Kaiserin zu nähern. Aufdiese Weise haben beide nicht darauf geachtet, was in den Logen vorgeht«, grinste er.
    »Was in den Logen vorgeht?«, fragte ich. »Was meinen Sie eigentlich, Marschall Murat?« Murat war so intensiv in sein Gespräch mit mir vertieft, dass er gar nicht das überraschte Aufsummmen vieler Stimmen, das den Saal erfüllte, bemerkte. »Ich meine eine ganz bestimmte Loge. Die Loge, in die Sie Seine Majestät führten«, sagte er vertraulich. »Ach so, Loge Nummer siebzehn! Warum dürfen Jean-Baptiste und die Kaiserin nicht wissen, was in dieser Loge vor sich geht? Der ganze Saal weiß es doch bereits!«, lachte ich.
    Murats verdutztes Gesicht war unbezahlbar. Er hob den Kopf, folgte dann den Blicken aller anderen Gäste und sah – ja, und sah, dass der Kaiser in Loge Nummer siebzehn die Vorhänge beiseite zog. Dicht neben ihm wurde Madame Letitia sichtbar. Despreaux gab dem Orchester ein Zeichen, ein Tusch dröhnte durch den Saal, dem wilder Applaus folgte. »Caroline hat gar nicht gewusst, dass ihre Mutter wieder in Paris ist«, sagte Murat und betrachtete mich eifersüchtig. »Ich glaube, Madame Mère will stets bei jenem Sohn leben, der sie am meisten braucht«, sagte ich nachdenklich. »Zuerst beim verbannten Lucien und jetzt beim gekrönten Napoleon.«
    Bis zum Morgengrauen wurde getanzt. Als mich Jean-Baptiste im Walzer drehte, fragte ich: »Wo liegt Hannover?« – »In Germanien«, antwortete er. »Es ist das Land, aus dem das englische Königshaus stammt. Die Bevölkerung hat während der Kriegsjahre furchtbar gelitten.« – »Weißt du, wer von nun an in Hannover regieren wird? Als französischer Gouverneur?« – »Keine Ahnung«, sagte Jean-Baptiste. »Und es ist mir –« Er stockte. Mitten im Satz, mitten in einem Dreivierteltakt. Beugte sich dicht über mein Gesicht und schaute mir in die Augen. »Ist daswahr?«, fragte er nur. Ich nickte. »Jetzt werde ich es ihnen zeigen«, murmelte er und begann wieder zu tanzen. »Wem willst du es zeigen? Und was willst du zeigen?« – »Wie man ein Land verwaltet! Dem Kaiser will ich es zeigen und den einzelnen Generälen. Besonders den Generälen. Ich werde Hannover zufrieden stellen.« – Jean-Baptiste sprach sehr schnell, und ich spürte, dass er glücklich war. Glücklich, zum ersten Mal nach langen, langen Jahren. Seltsam, dass er in diesem Augenblick gar nicht an Frankreich dachte, sondern nur an – Hannover. Hannover, irgendwo in Germanien. »Du wirst im Königsschloss residieren«, sagte ich. »Natürlich,

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