Désirée
Bürgern von Hannover auferlegt wurden, um unsere Soldaten zu erhalten, drücken sie nicht. Jean-Baptiste hat die Höhe aller Abgaben genau festgelegt, und kein Offizier darf auf eigene Faust Steuern eintreiben. Übrigens verdienen die Bürger mehr als früher. Jean-Baptiste hat nämlich die Zollschranken aufgehoben, und Hannover liegt in diesem von Kriegen zerwühlten Germanien wie eine Insel, die nach allen Seiten Handel treibt. Als die Bürger von Hannover geradezu reich wurden, hat Jean-Baptiste die Steuern etwas erhöht und mit dem überflüssigen Geld Korn gekauft und nach Nordgermanien geschickt, wo eine Hungersnot herrscht. Die Leute in Hannover schüttelten den Kopf, unsere Offiziere tippten sich an die Stirn, aber niemand kann einem anderen laute Vorwürfe darüber machen, weil er ein anständiger Mensch ist. Schließlich gab Jean-Baptiste den Gewerbetreibenden den Rat, sichein wenig mit den Hansestädten anzufreunden und durch diese Freundschaft viel Geld zu verdienen. Die Deputationen, die diesen Rat erhielten, waren sprachlos. Denn es ist offenes Geheimnis, dass sich die Hansestädte nicht streng an die Kontinentalsperre des Kaisers halten und noch immer Schiffe mit Waren nach England senden und empfangen. Aber wenn ein Marschall von Frankreich seinen armen, geknechteten Feinden diesen Rat gibt … Als der Handel richtig in Schwung kam, füllten sich auch die Staatskassen von Hannover. Jean-Baptiste konnte große Summen an die Universität von Göttingen senden. Dort unterrichten jetzt einige der größten Gelehrten von Europa. Jean-Baptiste ist natürlich sehr stolz auf »seine« Universität. Und er ist zufrieden, wenn er sich über seine Akten beugt. Manchmal finde ich ihn aber auch über dicken Büchern. »Was so ein ungebildeter Sergeant alles lernen muss«, murmelt er dann, ohne aufzusehen, und streckt die Hand aus. Und ich trete dicht neben ihn, und er legt meine Hand an seine Wange. »Du regierst schrecklich viel«, sage ich dann ungeschickt. Aber er schüttelt nur den Kopf. »Ich lerne, kleines Mädchen. Und ich versuche mein Bestes. Es ist nicht schwer, wenn er nur Ruhe gibt …« Wir wissen beide, wen Jean-Baptiste meint. In Hannover habe ich zugenommen. Wir durchtanzten nicht die Nächte und standen auch nicht stundenlang bei Paraden. Zumindest nie länger als zwei Stunden. Jean-Baptiste schränkte mir zuliebe die Truppenparaden ein. Nach dem Souper saßen meistens unsere Offiziere mit ihren Damen in meinem Salon. Dann besprachen wir die Nachrichten, die aus Paris zu uns kamen. Der Kaiser schien noch immer seinen Angriff auf England vorzubereiten, er hielt sich an der Kanalküste auf. Und Josephine machte weiter Schulden, aber darüber wurde nur geflüstert. Jean-Baptiste lud auch manchmal Professoren aus Göttingen ein, die uns inentsetzlichem Französisch ihre Lehren zu erklären versuchten. Einer las uns einmal ein Theaterstück auf Deutsch vor, das der Dichter des Nachttisch-Romanes »Werthers Leiden«, den wir einst verschlungen haben, geschrieben hat. Der Dichter heißt Goethe, und ich machte Jean-Baptiste Zeichen, diese Marter für uns alle abzubrechen; wir verstehen zu schlecht Deutsch. Ein anderer erzählte von einem großen Arzt, der jetzt in Göttingen wirkt und vielen Leuten ihr Gehör wiedergegeben habe. Das interessierte Jean-Baptiste sehr, weil viele unserer Soldaten durch das Dröhnen der Kanonen, die sie selbst abschossen, schwerhörig geworden sind. Und plötzlich rief er: »Ich habe einen Freund, der diesen Professor aufsuchen muss. Er lebt in Wien, ich werde ihm schreiben, dass er nach Göttingen reisen soll. Dann kann er uns hier besuchen. Désirée, du musst ihn kennen lernen, es ist ein Musiker, den ich in Wien getroffen habe, als ich dort Botschafter war. Ein Freund von Kreutzer, weißt du!« Mich packte natürlich ein Schreck. Unter dem Vorwand, zu viele repräsentative Pflichten zu haben, schwindelte ich nämlich Jean-Baptiste vor, dass ich gar keine Zeit für meine Klavierstunden und den Anstandsunterricht mehr hätte. Und er selbst hatte so viel zu tun, dass er mich nicht kontrollierte. Das Klavierspiel geht mir nicht ab, und was den Anstandsunterricht betrifft, so fegte ich eben mit den paar graziösen Bewegungen, die ich bei Monsieur Montel gelernt habe, meine Gäste vom Speisesaal in die Salons, und für eine Seidenhändlerstochter, die plötzlich im Schloss der Könige von Hannover residiert, machte ich es ganz gut. Jetzt hatte ich natürlich eine Heidenangst,
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