Désirée
es dürfte das beste Quartier sein«, meinte er gleichgültig. Es machte keinen Eindruck auf ihn. Plötzlich wurde mir klar, dass Jean-Baptiste davon überzeugt war, dass das beste Quartier gerade gut genug für ihn ist. Das Schloss des englischen Königs in Hannover ist dem ehemaligen Sergeanten Bernadotte gerade gut genug. Warum kommt mir das alles so ungeheuerlich vor? »Mir ist schwindlig, Jean-Baptiste, mir ist schwindlig …« Aber Jean-Baptiste hörte erst zu tanzen auf, als die Geiger ihre Instrumente zusammenpackten und das Fest der Marschälle zu Ende war.
Bevor Jean-Baptiste nach Hannover reiste, erfüllte er mir noch einen Wunsch und ließ Oberst Lefabre nach Paris versetzen. Die Geschichte mit Napoleons Unterhosen brachte ihn auf die Idee, ihn in der Depotverwaltung unterzubringen, wo er sich ausschließlich mit den Uniformen, den Stiefeln und dem Unterzeug unserer Truppen beschäftigt. Der Oberst und seine Frau kamen zu mir, um sich zu bedanken. »Habe den Herrn Papa sehr gut gekannt, sehr anständiger Mensch gewesen, der Herr Papa …« Meine Augen wurden feucht, ich lächelte: »Sie hatten damals Recht, Herr Oberst. Ein Bonaparte ist keine Partie – für eine Tochter des François Clary …« Seine Frau zog hörbarden Atem vor Entsetzen ein. Das war Majestätsbeleidigung. Der Oberst wurde zwar blaulila vor Verlegenheit, aber er hielt meinem Blick stand. »Haben Recht, Marschallin«, brummte er. »Der Bernadotte wäre dem seligen Herrn Papa bestimmt auch lieber.« Napoleon lässt sich über alle Versetzungen höherer Offiziere berichten, und als er den Namen des Oberst Lefabre auf einer Liste sah, dachte er eine Sekunde nach. Dann lachte er schallend auf: »Mein Unterhosen-Oberst! Bernadotte lässt ihn jetzt sämtliche Unterhosen der Armee verwalten. Um der Marschallin einen Gefallen zu erweisen!« Murat hat den Ausspruch vertraulich herumerzählt, und bis zum heutigen Tag nennen alle den armen Lefabre den Unterhosen-Oberst der französischen Armee.
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In einer Reisekutsche zwischen
Hannover in Germanien und
Paris.
September 1805 (Der Kaiser
hat unseren republikanischen
Kalender verboten. Meine
verstorbene Mama hätte sich
so darüber gefreut, die konnte
sich nie daran gewöhnen.)
W ir waren sehr glücklich in Hannover – Jean-Baptiste, Oscar und ich. Nur wegen der kostbaren Parkettfußböden des königlichen Schlosses gab es manchmal Streit. »Dass Oscar sich einbildet, der spiegelnde Boden des großen Saales sei dazu da, damit der Sohn des Militärgouverneurs auf ihm entlangrutscht, wundert mich nicht, er ist ein sechsjähriger Lausejunge. Aber, dass du –!« Er schüttelte den Kopf, und sein Ärger kämpfte mit Lachen. Dann versprach ich jedes Mal hoch und heilig, nie wieder mit Oscar gemeinsam zuerst einen Anlauf zu nehmen und – rutsch – und rutsch über spiegelndes Parkett zu gleiten. Im großen Ballsaal des Schlosses der ehemaligen Könige von Hannover nämlich. In der Residenz von Monseigneur Jean-Baptiste Bernadotte, Marschall von Frankreich, Gouverneur des Reiches Hannover. Immer wieder gab ich mein Versprechen und konnte doch am nächsten Tag der Versuchung nicht widerstehen und ließ mich von Oscar wieder zum Rutschen verleiten. Es war wirklich eine Schande, ich bin nämlich die erste Dame des Reiches Hannover und habe einen kleinen Hofstaat, der aus einer Vorleserin, einer Gesellschaftsdame und den Gattinnen der Offiziere meines Mannes besteht. Leider vergesse ich das manchmal …
Ja, wir waren glücklich in Hannover. Und Hannover war glücklich mit uns. Das klingt seltsam, denn Hannover ist erobertes Gebiet und Jean-Baptiste der Befehlshaber einer Okkupationsarmee. Von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends und nach dem Souper bis tief in die Nacht hinein beugte er sich über die vielen Aktenstücke auf seinem Schreibtisch. Jean-Baptiste begann seine »Regierung« in diesem germanischen Land mit der Einführung der Menschenrechte. In Frankreich ist sehr viel Blut geflossen, um alle Bürger gleichzustellen. Im Feindesland Hannover genügte ein Federstrich dazu. Die Unterschrift »Bernadotte«. So wurde die Prügelstrafe abgeschafft. Die Ghettos wurden aufgehoben, und den Juden ist jetzt gestattet, alle Berufe zu ergreifen, zu denen sie Lust haben. Die Levis von Marseille sind damals nicht vergeblich in ihren Sonntagsanzügen in die Schlacht gezogen. Ein ehemaliger Sergeant weiß auch genau, was zur Erhaltung einer Truppe notwendig ist, und die Kontributionen, die den
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