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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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eine Pestkranke, sondern schon wie eine Aussätzige gemieden: Mein Oscar hat die Masern!
    Dr. Corvisart war hier und verschrieb kalte Umschläge, um Oscars Fieber niederzudrücken. Aber sie nützen nichts. Oscar phantasiert und ruft gleichzeitig verzweifelt nach seinem Papa. Nachts will er nur in meinem Bett schlafen. Dann drücke ich ihn fest an mich, und sein kleines fieberheißes Gesicht liegt an meiner Schulter, und mir ist, als ob ich ihm Kraft und Gesundheit geben könnte, wenn ich ihn nur dicht an mich gedrückt halte. Vielleicht stecke ich mich an, vielleicht auch nicht, Marie behauptet, ich hätte als Kind Masern gehabt, und sagt, dass man diese Krankheit selten zweimal bekommt. Oscars magerer Körper ist von roten Bläschen übersät, und Dr. Corvisart hat gesagt, dass er sich nicht kratzen darf. Meine Vorleserin bekomme ich überhaupt nicht zu Gesicht, weiß der Himmel, wem sie vorliest, mir bestimmt nicht, sie hat solche Angst vor den Masern. Es ärgert mich nur, dass ich ihr Gehalt bezahlen muss, aber seitdem Jean-Baptiste Marschall geworden ist, haben wir so viele sinnlose Ausgaben. Wieder verging ein Tag wie der andere. Bis zu jenem Augenblick, in dem Julie überraschend erschien. Seitdem Oscar die Masern hat, kommt sie nicht einmal mehr in mein Esszimmer, sondern schickt stets nur ihre Zofe, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. An einem Frühlingsnachmittag stand sie jedoch aufgeregt im Salon. Ich erschien an der Tür, die vom Garten ins Haus führt, aber sie rief sofort: »Komm nicht näher, sonst steckst du uns an! Und meine Kinder sind doch so zart. Ich will nur die Erste sein, die dir die große Neuigkeit mitteilt. Es ist kaum zu fassen –« Ihr Hut saß schief, kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, sie war ganz blass. »Um Gotteswillen, was ist dir geschehen?«, fragte ich erschrocken. »Ich bin Königin geworden. Königin von Neapel«, stieß Julie tonlos hervor. Ihre Augen waren weit vor Entsetzen. Zuerst dachte ich, sie sei krank. Sie fiebert. Sie hat sich irgendwo die Masern geholt, aber bestimmt nicht bei uns. »Marie«, rief ich, »Marie – komm sofort, Julie ist nicht ganz wohl!« Marie tauchte auf. Aber Julie wehrte ab. »Lass mich, mir ist doch nicht schlecht. Ich muss mich nur an den Gedanken gewöhnen. Königin. Ich bin also eine Königin. Die Königin von Neapel. Neapel liegt in Italien, soviel ich weiß. Mein Mann – Seine Majestät, König Joseph. Und ich bin Ihre Majestät, Königin Julie … du, das Ganze ist fürchterlich, Désirée! Wir werden wieder nach Italien müssen und in diesen grässlichen Marmorschlössern wohnen…«
    »Es wäre dem seligen Herrn Papa nicht recht gewesen, Mademoiselle Julie«, mischte sich Marie ein. »Halt den Mund, Marie!«, fuhr Julie sie an. So hatte ich Julie noch nie zu unserer Marie sprechen hören. Marie presste die Lippen zusammen und stapfte aus dem Zimmer. Und die Tür schlug sie zu. Im gleichen Augenblick jedoch ging die Tür wieder auf: Meine Gesellschaftsdame ließ sich blicken. Madame La Flotte trug ihr bestes Kleid und versank vor Julie in einen Hofknicks. Wie vor der Kaiserin … »Majestät, darf ich gratulieren?«, säuselte sie. Nachdem Marie das Zimmer wütend verlassen hatte, war Julie zusammengesunken. Jetzt fuhr sie auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ihre Mundwinkel zuckten. Dann hatte sie sich völlig in der Gewalt und machte ein Gesicht wie eine schlechte Schauspielerin, die königlich wirken will. »Danke. Woher wissen Sie, was sich ereignet hat?«, sagte sie mit einer neuen, fremden Stimme. Meine Gesellschaftsdame hockte noch immer vor Julie auf dem Teppich. »Man spricht von nichts anderem in der Stadt, Majestät.« Undunzusammenhängend: »Majestät sind zu gnädig!« »Lassen Sie mich mit meiner Schwester allein«, sagte Julie mit ihrer fremden Stimme. Worauf sich meine Gesellschaftsdame – mit dem Rücken zur Tür – hinauszubewegen versuchte. Ich betrachtete interessiert diesen Vorgang. Als sie sich irgendwie zur Tür hinausgeschlängelt hatte, meinte ich nur: »Die glaubt anscheinend, sie ist bei Hof!«
    »In meiner Gegenwart hat man sich von nun an wie bei Hof aufzuführen«, sagte Julie. »Joseph sammelt heute Nachmittag einen richtigen Hofstaat zusammen.« Sie zog die schmalen Schultern zusammen, es sah aus, als ob sie fröstele: »Désirée, ich habe solche Angst!« Ich versuchte, ihr Mut zu machen. »Unsinn, du bleibst doch, was du bist!« Aber Julie schüttelte den Kopf und

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