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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Nachrichten erhielt. Berlin war erobert worden, die feindlichen Truppen wurden quer durch Polen verfolgt. Jean-Baptiste befehligte den linken Flügel unserer Armee. Bei Mohrungen gewann er einen Sieg über zahlenmäßig weit überlegene Truppen. Damals schlug er den vorrückenden Feind nicht nur endgültig, sondern rettete sogar die Person des Kaisers. Dieser persönliche Erfolg machte auf das feindliche Oberkommando so tiefen Eindruck, dass man ihm seine Reisetasche mit der Marschallsuniform und das Feldbett – beides war bereits in Feindeshand gefallen – zurückschickte. Das alles liegt jedoch Monate zurück. Immer wieder haben Jean-Baptistes Regimenter alle Flankenangriffe auf unsere Armee zurückgeschlagen, der Kaiser hat die Schlachten von Eylau und Jena gewonnen und schließlich in Tilsit die europäischen Staaten vereinigt und ihnen seine Friedensbedingungen diktiert. Ganz überraschend kam Napoleon nach Paris zurück, und ebenso überraschend ritten seine Lakaien in der grünen Uniform – Grün ist doch die Farbe Korsikas – von Haus zu Haus, um zu einer großen Siegesfeier in den Tuilerien einzuladen. Ich nahm das neue Kleid von Le Roy – blassrosa Satin, dunkelrote Rosen am Ausschnitt – aus dem Schrank, und Yvette frisierte mein widerspenstiges Haar und hielt es mit dem Diadem aus Perlen und Rubinen zusammen, das mir Jean-Baptiste an unserem letzten Hochzeitstag im August durch einen Kurier geschickt hat. So lange haben wir einander nicht gesehen, lieber Gott – so furchtbar lange. »Durchlaucht werden sich gut unterhalten«, sagte meine Gesellschaftsdame neidisch und starrte auf die goldene Kassette mit dem Adler, in der ich meinen Schmuck aufbewahrte. Die Kassette, die ich am Krönungstage geschenkterhielt. Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde mich sehr allein in den Tuilerien fühlen, nicht einmal Königin Julie wird dort sein.« Julie ist ja in Neapel und friert dort in der Sommerhitze vor Einsamkeit. Das Fest in den Tuilerien verlief ganz anders, als ich erwartet hatte. Wir versammelten uns natürlich im großen Ballsaal und warteten, bis die Flügeltür aufgeschlagen und die Marseillaise geschmettert wurde. Dann versanken wir im tiefen Hofknicks – der Kaiser und die Kaiserin erschienen. Langsam machten Napoleon und Josephine die Runde, zogen einige Gäste ins Gespräch, machten andere unglücklich, weil sie sie übersahen. Zuerst konnte ich Napoleon nicht richtig sehen, seine hoch gewachsenen, mit Gold bestickten Adjutanten umringten ihn. Plötzlich jedoch blieb er dicht neben mir stehen. Ich glaube, es war vor einem holländischen Würdenträger. »Ich höre, dass böswillige Zungen behaupten, meine Offiziere schicken nur ihre Truppen in die vorderste Frontlinie und halten sich selbst im Hinterland auf –«, begann er. Und donnerte: »Nun – sagt man das nicht bei Ihnen in Holland?« Ich hatte gehört, dass die Holländer sehr unzufrieden mit der französischen Herrschaft im Allgemeinen und mit dem schwerfälligen Louis und der trübseligen Königin Hortense im Besonderen waren. Deshalb dachte ich, dass der Kaiser sie tadeln werde, und hörte ihm kaum zu, sondern betrachtete sein Gesicht. Napoleon hat sich sehr verändert. Die scharfen Züge unter dem kurz geschorenen Haar sind viel voller geworden, das Lächeln des blassen Mundes ist nicht mehr werbend und fordernd zugleich, sondern nur überlegen. Außerdem hat er zugenommen, stellte ich fest, er wirkte geradezu eingeschnürt in seiner bescheidenen Generalsuniform, die keine Auszeichnungen mit Ausnahme die der Ehrenlegion, die er selbst gestiftet hat, schmückt. Er wirkte ausgesprochen rundlich. Dieses rundliche Ebenbild Gottes auf Erden sprach mitbreiten Gesten und nahm sich nur ab und zu zusammen und faltete dann die Hände auf dem Rücken wie seinerzeit in Augenblicken großer Spannung. Auch jetzt hielt er die Hände auf dem Rücken verschlungen, als ob er diese allzu unruhigen Finger festzuhalten versuchte. Sein überlegenes Lächeln wurde höhnisch:
    »Meine Herren, ich glaube, unsere große Armee hat einen einzigartigen Beweis für die Tapferkeit ihrer Offiziere geliefert, selbst die höchsten schrecken nicht vor Gefahren zurück. Ich habe in Tilsit die Meldung erhalten, dass einer der Marschälle Frankreichs verwundet worden ist.« Hörte man mein Herz in der tiefen Stille schlagen? »Es handelt sich um den Fürsten von Ponte Corvo«, fügte er nach einer Kunstpause hinzu. »Ist – das – wahr –?« Meine Stimme zerschnitt

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