Désirée
den Kreis der Etikette um den Kaiser. Eine steile Falte bildete sich sofort auf seiner Nase. Man schreit nicht in Gegenwart Seiner Majestät auf, man – ach so, da stand sie ja, die kleine Marschallin Bernadotte … Die Falte verschwand, und in diesem Augenblick wusste ich, dass mich Napoleon bereits vorher gesehen hatte. Auf diese Weise wollte er mir die Nachricht zukommen lassen. In Gegenwart von tausend fremden Menschen. Wollte mich strafen. Wofür –? »Meine liebe Fürstin«, begann er, und ich glitt in den tiefen Hofknicks. Er nahm meine Hand und zog mich hoch.
»Ich bedaure, Ihnen diese Mitteilung machen zu müssen«, sagte er, während er gleichgültig über mich hinwegsah. »Der Fürst von Ponte Corvo, der sich in diesem Feldzug sehr ausgezeichnet hat und dessen Eroberung von Lübeck wir ungemein bewundert haben, ist bei Spandau von einem Streifschuss am Hals verwundet worden. Ich höre, dass sich der Fürst bereits im Zustand der Besserung befindet. Ich bitte, sich nicht zu beunruhigen, liebe Fürstin.«
»Und ich bitte um die Möglichkeit, zu meinem Mann zu fahren, Sire«, sagte ich tonlos. Erst jetzt blickte mich der Kaiser wirklich an. Die Marschallinnen pflegten nämlich nicht ihren Gatten in ihre Hauptquartiere zu folgen. »Der Fürst hat sich nach Marienburg begeben, um sich dort pflegen zu lassen. Ich rate Ihnen ab, Fürstin, diese Reise zu wagen, die Straßen durch Norddeutschland und vor allem im Danziger Gebiet sind sehr schlecht. Auch handelt es sich um Gebiete, die noch vor kurzem Schlachtfelder waren. Kein Anblick für schöne Frauen …«, kam es kühl. Gleichzeitig beobachtete er mich interessiert. Das ist die Rache, dachte ich, weil ich in jener Nacht vor der Erschießung des Herzogs von Enghien bei ihm war. Weil ich in jener Nacht seinen Händen entwich. Weil ich Jean-Baptiste liebe. Jean-Baptiste, diesen General, den er mir nicht zugedacht hat. »Sire – ich bitte von ganzem Herzen um die Möglichkeit, zu meinem Mann zu fahren. Ich habe ihn beinahe zwei Jahre nicht gesehen.« Napoleons Augen ließen mein Gesicht noch immer nicht los. Er nickte. »Beinahe zwei Jahre … Sehen Sie, meine Herren, wie sich Frankreichs Marschälle für ihr Vaterland aufopfern! Wenn Sie es wagen wollen, liebe Fürstin, wird man Sie mit einem Laissez-passer versehen. Für wie viele Personen?«
»Für zwei. Ich nehme nur Marie mit!«
»Verzeihen Sie, Fürstin – wen?«
»Marie. Unsere treue Marie aus Marseille. Majestät werden sich vielleicht noch ihrer erinnern«, warf ich ihm entgegen. Endlich! Die Marmormaske verschwand, ein sehr amüsiertes Lächeln trat an ihre Stelle. »Natürlich, die treue Marie. Marie mit den Marzipantorten …« Und zu einem der Adjutanten: »Laissez-passer für die Fürstin von Ponte Corvo und eine Begleitperson.« Seine Blicke schweiften im Kreis herum, blieben an einem hoch gewachsenen Oberst in Grenadieruniform haften: »Oberst Moulin! Siefahren mit und haften mir für die Sicherheit der Fürstin.« Und zu mir: »Wann gedenken Sie abzureisen?«
»Morgen früh, Sire.«
»Ich möchte, dass Sie dem Fürsten einen herzlichen Gruß von mir bestellen und ihm ein Geschenk überbringen. In Anerkennung seiner Verdienste um diesen siegreichen Feldzug schenke ich ihm –« Seine Augen begannen zu schillern, das Lächeln wurde höhnisch, jetzt schlägt er zu, spürte ich – »– schenke ich ihm das Haus des ehemaligen Generals Moreau in der Rue d’Anjou. Ich habe es kürzlich seiner Gattin abgekauft. Man sagt mir, der General hat Amerika zum Exil gewählt. Schade um ihn, ein fähiger Soldat, leider ein Verräter an Frankreich, sehr schade …« In meinem tiefen Knicks sah ich nur noch seinen Rücken. Die auf dem Rücken verschlungenen Hände. Er hielt sie ineinander verkrampft. Das Haus des Generals Moreau. Jenes Moreau, der gemeinsam mit Jean-Baptiste am 18. Brumaire die Republik nicht verraten wollte. Und den sie fünf Jahre später im Zusammenhang mit einer royalistischen Verschwörung verhafteten und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilten. Es war so lächerlich, diesen treuesten General der Republik als Royalisten zu verhaften. Der Erste Konsul hat dieses Urteil in lebenslängliche Verbannung verwandelt. Und der Kaiser hat sein Haus gekauft und schenkt es Moreaus bestem Freund, den er hasst und nicht entbehren kann … So kam es, dass ich über Landstraßen reise, die durch Schlachtfelder führen, vorbei an erschossenen Pferden mit aufgeblähtem Bauch, die alle viere von sich
Weitere Kostenlose Bücher