Désirée
strecken, vorbei an Erdhügeln, auf denen hastig zusammengefügte windschiefe Kreuze stehen. Es regnet, regnet ununterbrochen. »Und alle haben Mütter«, sagte ich zusammenhanglos. Der Oberst neben mir, der eingenickt war, fuhr auf. »Wie bitte? Mütter?« Ich wies auf die Erdhügel, auf die der Regen niederprasselte. »Dietoten Soldaten. Es sind doch Söhne!« Marie zog die Vorhänge vor die Fenster des Wagens. Verwirrt blickte der Oberst von einer zur anderen. Aber wir schwiegen. Da zuckte er die Achseln und schloss wieder die Augen. »Ich sehne mich nach Oscar«, sagte ich zu Marie. Zum ersten Mal seit seiner Geburt habe ich Oscar verlassen. In den frühen Morgenstunden vor meiner Abreise war ich mit dem Kind zu Madame Letitia nach Versailles gefahren. Die Mutter des Kaisers wohnt dort im Trianon. Sie kam gerade aus der Frühmesse. »Ich werde schon gut auf Oscar aufpassen, ich habe doch selbst fünf Söhne erzogen«, versprach sie mir. Erzogen schon, aber sehr schlecht, ging es mir durch den Kopf. Aber so etwas sagt man nicht zur Mutter Napoleons. Sie strich mit ihrer harten Hand, die trotz aller Salben und Pflege nicht die Spuren schwerer Hausarbeit verlieren will, dem Kind über die Stirn. »Fahren Sie nur ruhig zu Ihrem Bernadotte, Eugénie, ich passe schon auf«, wiederholte sie. Oscar … Mir ist kalt ohne meinen kleinen Sohn. Wenn er krank ist, will er immer in meinem Bett schlafen. »Sollten wir nicht in einem Gasthof Station machen?«, fragte der Oberst. Ich schüttelte den Kopf. Als es Nacht wurde, schob Marie eine Wärmflasche, die wir bei einer Poststation mit heißem Wasser gefüllt hatten, unter meine Füße. Der Regen prasselte auf das Dach des Wagens. Und Soldatengräber und armselige Kreuze ertranken. So fuhren wir Marienburg entgegen.
»Da hört sich doch alles auf!«, entfuhr es mir, als unser Wagen schließlich vor Jean-Baptistes Hauptquartier hielt. An Schlösser habe ich mich langsam gewöhnt, aber die Marienburg ist kein Schloss. Sondern eine Burg. Eine mittelalterliche, graue, abscheuliche Burg, verfallen und unheimlich. Vor dem Eingang wimmelte es von Soldaten. War das ein Hackenzusammenschlagen und eine Aufregung, als Oberst Moulin mein Laissez-passer zeigte. DieMarschallin persönlich! »Ich will den Fürsten überraschen, bitte mich nicht anzumelden«, sagte ich beim Aussteigen. Zwei Offiziere führten mich durch das Portal, wir kamen in einen elend gepflasterten Hof, ich sah entsetzt die verfallenen, dicken Mauern an und erwartete jeden Augenblick, Ritterfräulein und Minnesängern zu begegnen. Aber ich sah nur Soldaten der verschiedensten Regimenter. »Monseigneur ist beinahe ganz hergestellt. Übrigens arbeitet Monseigneur um diese Zeit und wünscht im Allgemeinen nicht gestört zu werden. So eine Überraschung«, sagte der jüngere der beiden Offiziere und lächelte. »Hat man denn kein besseres Hauptquartier gefunden als diese Minnesängerburg?«, entfuhr es mir. »Im Feld ist es dem Fürsten gleichgültig, wo er wohnt. Und hier haben wir wenigstens Platz für unsere Büros. Hier herein, Fürstin, wenn ich bitten darf!« Er öffnete eine unscheinbare Pforte, wir gingen einen Korridor entlang, es war kalt und roch muffig. Schließlich gelangten wir in einen kleinen Vorraum, und Fernand stürzte auf mich zu. »Madame!« Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt, so fein herausgeputzt hatte er sich. Eine weinrote Lakaienuniform mit riesigen Goldknöpfen, die mit einem seltsamen Wappen verziert waren. »Du bist aber elegant geworden, Fernand«, lachte ich. »Wir sind jetzt der Fürst von Ponte Corvo«, erklärte er mir feierlich. »Bitte, sich die Knöpfe anzusehen, Madame!« Er streckte den Bauch heraus, um mir alle Knöpfe auf seinem Frack zu zeigen. »Das Wappen von Ponte Corvo, das Wappen von Madame!«, verkündete er stolz. »Endlich bekomme ich es zu Gesicht«, meinte ich und betrachtete interessiert die verschlungene Ziselierung. »Wie geht es meinem Mann, Fernand?«
»Wir sind eigentlich schon wieder ganz gesund, aber die neue Haut über der Wunde juckt noch«, teilte mir Fernand mit. Ich legte den Finger auf den Mund. Fernandverstand mich und öffnete ganz leise eine Tür. Jean-Baptiste hörte mich nicht. Er saß an einem Schreibtisch, stützte das Kinn in die Hand und studierte in einem Folianten. Die Kerze neben dem Buch beleuchtete nur seine Stirn. Diese Stirn war klar und sehr ruhig. Ich sah mich um. Jean-Baptiste hatte ein seltsames Durcheinander um sich aufgebaut. Vor dem
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