Désirée
Kamin mit dem prasselnden Feuer stand der Schreibtisch mit den Aktenstücken und Lederfolianten. Neben dem Kamin hing eine riesige Landkarte. Die flackernden Flammen warfen rote Lichter darauf. Im Hintergrund sah ich sein schmales Feldbett und einen Tisch mit einer silbernen Waschschüssel und Verbandszeug. Im Übrigen war der riesige Raum leer. Ich trat etwas näher, die Holzscheite im Kamin krachten. Jean-Baptiste hörte mich nicht. Der Kragen seiner dunkelblauen Felduniform war geöffnet, er trug ein weißes Halstuch. Unter dem Kinn war das Halstuch gelockert, und ich sah eine weiße Bandage. Jetzt wendete er eine Seite in dem dicken Folianten und schrieb etwas an den Rand. Ich nahm den Hut ab. Neben dem Kamin war es sehr warm, und zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich wohl und geborgen. Nur müde war ich, schrecklich müde sogar. Aber das machte ja nichts, ich war endlich am Ziel. »Durchlaucht«, sagte ich. »Lieber Fürst von Ponte Corvo –«
Beim Klang meiner Stimme sprang er auf. »Mein Gott – Désirée!« In zwei hastigen Schritten war er bei mir. »Tut die Wunde noch weh?«, fragte ich zwischen zwei Küssen. »Ja, besonders, wenn du deinen Arm so wie jetzt darauf presst«, gestand er. Ich ließ erschrocken die Arme sinken. »Ich werde dich küssen, ohne dich zu umarmen«, versprach ich. »Geht das? Es wäre herrlich …« Ich saß auf seinem Schoß. Wies auf den dicken Folianten auf dem Schreibtisch. »Was liest du da?« – »Jura. Ein ungebildeter Sergeant muss sehr viel lernen, wenn er ganzNorddeutschland und die Hansestädte verwalten soll«, meinte er. »Hansestädte – was ist das?« – »Hamburg, Lübeck, Bremen. Und vergessen wir nicht, dass wir uns auch weiter um Hannover und Ansbach kümmern sollen.« Ich schlug das Buch zu und presste mich verzweifelt an ihn. »Oscar war krank«, flüsterte ich. »Und du hast uns allein gelassen. Du warst verwundet und warst weit fort von mir –« Ich spürte seinen Mund. »Kleines Mädchen, kleines Mädchen –«, sagte er nur und hielt mich fest. Bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Es war ausgesprochen peinlich. Natürlich sprang ich von seinem Schoß und richtete mein Haar. Im Türrahmen standen jedoch nur Marie und Fernand. »Marie fragt, wo die Fürstin schlafen wird, sie will die Reisetaschen auspacken«, rief Fernand anklagend. Ich wusste, dass er rasend war, weil ich Marie mitgebracht hatte. »In dieser Wanzenburg kann meine Eugénie nicht übernachten!«, klagte Marie. »Wanzen? Nicht eine!«, schrie Fernand zurück. »In diesem feuchten Gemäuer erfrieren doch alle Tiere. Im Depot sind Betten, sogar Fürstenbetten mit Baldachin«, erklärte er. »Wanzenburg!«, wiederholte Marie erbittert. »Wenn die beiden sich streiten, fühle ich mich wie zu Hause in der Rue Cisalpine«, lachte Jean-Baptiste. Mit einem Schlag fiel mir das Geschenk des Kaisers ein. Nach dem Souper werde ich ihm sagen, dass wir Moreaus Haus übernehmen müssen, dachte ich. Zuerst essen und Wein trinken und dann – »Fernand, du bürgst mir dafür, dass innerhalb einer Stunde ein Schlafzimmer und ein Salon für die Fürstin eingerichtet sind«, befahl Jean-Baptiste. Und fügte hinzu: »Und nicht mit den feuchten Möbeln aus dem Depot. Der Adjutant vom Dienst hat auf den Gütern der Umgebung für die Fürstin zu requirieren. Anständige Möbel!«
»Ohne Wanzen«, zischte Marie. »Die Fürstin und ich wünschen allein zu soupieren. Hier in meinem Zimmer. Ineiner Stunde!« Wir hörten sie noch eine Weile im Vorgemach streiten. Und wir erinnerten uns an das mit Rosen und Dornen geschmückte Brautbett. Wir lachten viel. Ich saß wieder auf seinem Schoß und erzählte in wildem Durcheinander von Julies Königinnen-Qualen, Oscars Keuchhusten, den Masern und dem Gruß, den ich ihm von Monsieur Beethoven bestellen sollte. »Ich soll dir sagen, dass er die neue Symphonie nicht dem Kaiser widmen kann. Er will sie einfach ›Eroica‹ nennen. Zur Erinnerung an eine Hoffnung, die er einmal hatte.« »Die wir alle einmal hatten«, nickte Jean-Baptiste. »Eroica. Warum nicht?« Fernand deckte einen kleinen Tisch. Während des Essens – Jean-Baptistes Koch in der Wanzenburg ließ uns ein köstliches Hühnchen servieren, und Fernand schenkte schweren Bourgogne in die Gläser – konstatierte ich: »Du hast neues Silberbesteck gekauft! Mit den Initialen des Fürsten von Ponte Corvo. Ich benutze zu Haus noch immer unser Besteck mit dem einfachen B.« – »Lass das ›B‹ ausmerzen
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