Désirée
schlug die Hände vors Gesicht. »Nein, nein, es nützt nichts, du kannst es mir nicht ausreden – ich bin wirklich eine Königin geworden!« Sie begann haltlos zu weinen, und unwillkürlich trat ich auf sie zu. Sofort schrie sie: »Du darfst mich nicht anrühren, geh weg – Masern!« Ich stellte mich wieder in die Gartentür. »Yvette! Yvette!« Meine Zofe erschien. Als sie Julie sah, versank auch sie in einen Hofknicks. »Eine Flasche Champagner, Yvette!« Julie sagte: »Ich fühle mich der Aufgabe nicht gewachsen. Noch mehr Empfänge, Hofbälle in einem neuen Land. Wir müssen Paris verlassen …« Yvette kehrte mit dem Champagner und zwei Gläsern zurück. Hofknicks. Ich winkte sie aus dem Raum. Schenkte dann ein Glas für Julie ein und eines für mich. Julie nahm das Glas und begann in hastigen, durstigen Schlucken zu trinken. »Auf dein Wohl, Liebes – ich nehme an, es ist ein Anlass, dir zu gratulieren«, sagte ich. »Du hast mir das Ganze eingebrockt, du hast seinerzeit Joseph in unser Haus gebracht«, lächelte sie zurück. Mir fiel ein, was die Leute flüsterten: dass Joseph Julie betrüge. Kleine Liebeleien, nichts weiter. Joseph hat längst eingesehen, dass erkein großer Dichter ist, und bildet sich jetzt viel auf seine politische Begabung ein. Und nun ist er also König, Schwager Joseph. »Ich hoffe, du bist glücklich mit Joseph«, sagte ich nur. »Ich sehe ihn selten allein«, meinte Julie und starrte an mir vorbei in den Garten hinaus. »Ich nehme an, ich bin glücklich. Ich habe die Kinder. Meine Zenaïde und die kleine Charlotte Napoleone …« »Deine Töchter werden jetzt Prinzessinen, und alles wird sich aufs Beste ordnen«, lächelte ich. Gleichzeitig versuchte ich, mir das Ganze vorzustellen: Julie ist Königin, ihre Töchter sind Prinzessinnen und Joseph, der kleine Sekretär aus dem Maison Commune, der Julie wegen ihrer Mitgift geheiratet hat – König Joseph I. von Neapel. »Der Kaiser hat nämlich beschlossen, die besetzten Gebiete in selbstständige Staaten zu verwandeln, die von den kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen regiert werden. Staaten, die natürlich durch Freundschaftspakte mit Frankreich verbunden sind. Wir – Joseph und ich – regieren Neapel und Sizilien. Elisa ist Herzogin von Lucca geworden. Und Louis König von Holland. Murat, denk dir nur, Murat wird Herzog von Cleve und Berg werden!« »Um Gottes willen, kommen die Marschälle auch an die Reihe?«, fragte ich erschrocken. »Nein, Murat ist doch mit Caroline verheiratet, und Caroline wäre todbeleidigt, wenn sie nicht auch über die Einkünfte irgendeines Landes verfügen könnte.« Ich atmete erleichtert auf. »Irgendjemand muss doch diese Länder regieren, die wir erobert haben«, sagte Julie.
»Die wer erobert hat?«, erkundigte ich mich spitz. Julie antwortete nicht, sie schenkte sich noch ein Glas ein, trank wieder hastig und sagte: »Ich wollte die Erste sein, die dir das alles erzählt. Und jetzt muss ich gehen. Le Roy wird meine Staatsroben anfertigen. So viel Purpur …«
»Nein«, sagte ich entschieden. »Dagegen musst du dichwehren. Rot steht dir nicht! Lass dir einen grünen Krönungsmantel machen. Nicht Purpur!«
»Und einpacken muss ich, ich werde mit Joseph feierlich in Neapel einziehen!«, jammerte sie. »Du kommst doch mit?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muss mein Kind gesund pflegen, und außerdem –« Wozu Julie Komödie vorspielen? »Und außerdem warte ich auf meinen Mann. Irgendwann einmal muss doch Jean-Baptiste nach Hause kommen, nicht wahr?« Bis zum heutigen Vormittag hörte ich nichts mehr von Julie. In den Hofnachrichten im »Moniteur« stand allerdings eine Menge über die Bälle, Empfänge und Reisevorbereitungen Seiner und Ihrer Majestät, des Königspaares von Neapel. Heute früh durfte Oscar zum ersten Mal aufstehen und am offenen Fenster sitzen. Es war ein zauberhafter Maitag, sogar in meinem Garten duftet es, obwohl meine beschnittenen Rosenstöcke nur wenige Knospen tragen. Im Nebengarten blüht der Flieder, Fliederduft und Sehnsucht nach Jean-Baptiste lassen mir Herz und Glieder schwer werden. Ein Wagen fuhr vor. Mein Herzschlag setzte aus, wie jedes Mal, wenn ein Wagen unerwartet vor meinem Haus hält. Aber es war nur Julie. »Ist die Madame la Maréchale zu Hause?« Die Salontür flog auf, meine Gesellschaftsdame und Yvette versanken im Hofknicks. Marie, die gerade im Salon Staub gewischt hatte, stapfte mit unbeweglicher Miene an mir vorbei in den Garten. Sie
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