Désirée
zu geben, hat ihn dann zu seinem Adjutanten ernannt und ihn mit seiner Stieftochter Hortense verheiratet. Zuletzt hat er ihn auf den holländischen Königsthron gesetzt … Wie nennt man doch die holländischen Aufrührer, die immer wieder versuchen, sich gegen Louis und seine Soldaten zu erheben? Saboteure, ja, richtig – Saboteure. Weil sie »sabots« tragen. Holzpantoffel, wie unsere Fischer in Marseille. Sie hassen Louis, weil Napoleon ihn auf den holländischen Thron gesetzt hat. Und wissen ja nicht, dass Louis seinen Bruder nicht ausstehen kann. Louis drückt beide Augen zu, wenn heimlich Handelsschiffe aus seinen Hafenstädten nach England ausfahren. In Wirklichkeit ist Louis Obersaboteur, um Napoleon zu ärgern. Napoleon hätte ihm wenigstens erlauben sollen, sich seine Frau selbst zu wählen! Wer hat mit mir erst neulich über Louis gesprochen? Polette natürlich. Die einzige Bonaparte, die sich nicht um Politik kümmert, sondern nur ihrem Vergnügen und ihren Liebhabern gehört. An ihrem Geburtstag läuten keine Glocken. Auch nicht an Luciens. Lucien ist immer noch in der Verbannung. Dabei hat ihm Napoleon die spanische Krone angeboten. Natürlich unter der Bedingung, dass er sich von seiner rothaarigen MadameJouberthon scheiden lässt. Lucien hat sich geweigert und versucht, mit seiner Familie nach Amerika zu reisen. Aber sein Schiff ist unterwegs von den Engländern aufgehalten worden. Jetzt lebt Lucien als »feindlicher Ausländer« in England. Stets bewacht und doch – frei. Das hat er neulich in einem Brief, den er an seine Mutter nach Frankreich schmuggeln ließ, geschrieben. Und dabei war es Lucien, der Napoleon seinerzeit zum Konsulat verhalf, um Frankreichs Republik zu retten. Lucien, der blauäugige Idealist. Keine Glocken für Lucien … Die Tür öffnete sich einen Spalt. »Ich habe mir gedacht, dass dich die Glocken aufgeweckt haben, ich lasse dir das Frühstück bringen«, sagte Marie.
»Warum läuten eigentlich die Glocken, Marie?«
»Warum werden sie schon läuten? Der Kaiser hat einen großen Sieg errungen.« – »Wo? Wann? Steht Näheres in der Zeitung?« »Ich schicke dir das Frühstück und deine Vorleserin«, sagte Marie, überlegte es sich aber: »Nein, zuerst das Frühstück, dann das gnädige Fräulein, das dir vorliest!« Marie macht sich immer lustig, weil ich mir wie die anderen Damen des Hofes ein junges Mädchen aus altadeliger verarmter Familie halten muss, die mir den »Moniteur« und Romane vorliest. Dabei lese ich am liebsten allein und im Bett. Der Kaiser verlangt, dass wir Marschallsgattinnen uns bedienen lassen, als ob wir achtzig Jahre alt wären. Und ich bin doch erst achtundzwanzig! Yvette brachte meine Morgenschokolade. Sie öffnete die Fenster, und Sonne und Rosenduft strömten herein. Dabei habe ich hier nur drei Rosenstöcke, der Garten ist sehr klein, das Haus liegt doch mitten in der Stadt. Die meisten Möbel Moreaus, die ich vorfand, habe ich verschenkt. Und neue gekauft – weißgoldene, prachtvolle, sehr teure. Im Salon fand ich ein Büste des früheren Eigentümers. Ich wusste zuerst nicht recht, was ich damit anfangen sollte.Im Salon konnte ich sie nicht aufstellen. Freund Moreau ist ja leider in Ungnade. Hinauswerfen wollte ich sie aber auch nicht. Schließlich stellte ich die Büste in der Halle auf. In dem großen Salon dagegen musste ich ein Bild des Kaisers aufhängen. Es ist mir gelungen, eine Kopie des Porträts von Adolphe Yvon zu bekommen, das Napoleon als Ersten Konsul zeigt. Auf diesem Porträt ist das Gesicht des Ebenbildes Gottes noch so mager und straff wie in jenen Tagen in Marseille. Die Haare sind wirr und lang wie einst und die Augen weder glashart noch unheimlich strahlend. Versonnen, aber ganz vernünftig blicken sie in die Ferne, und der Mund ist noch jener des blutjungen Napoleone, der einst an einer Sommerhecke lehnte und davon sprach, dass es Menschen gibt, die dazu ausersehen sind, Weltgeschichte zu machen. Die Glocken … Man bekommt geradezu Kopfweh, obwohl wir doch an das Läuten von Siegesglocken gewöhnt sind. »Yvette«, fragte ich zwischen zwei Schlucken Schokolade, »wo und wann haben wir gesiegt?«
»Bei Wagram, Fürstin, am 4. und 5. Juli.«
»Schicke Mademoiselle herein und Oscar!« Das Kind und die Vorleserin kamen gleichzeitig. Ich schob mein Kissen zurecht und zog Oscar an mich. »Mademoiselle wird uns aus dem ›Moniteur‹ vorlesen. Wir haben wieder gesiegt.« So erfuhren Oscar und ich, dass eine große
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