Désirée
warum sollte er sie nicht verlieren, alle Männer, die ich gekannt habe, haben ihre Macht verloren, manche sogar den Kopf, wie mein seliger de Beauharnais – sehen Sie, wenn er die Macht verliert –« Ihre Augen fielen zu. Ich ließ ihre Hand los. »Bleiben Sie bei mir – ich fürchte mich …«
»Ich setze mich ins Nebenzimmer und warte, bis Majestät ausgeschlafen haben. Dann begleite ich Majestät nach Malmaison.« »Ja, nach Malmai –« Sie schlief. Ich blies die Kerze aus und trat in den Salon nebenan. Dort war es jetzt stockfinster. Alle Kerzen waren niedergebrannt. Ich tastete mich zum Fenster durch und zog die schweren Vorhänge auseinander. Ein trüber Wintermorgen war angebrochen. In seinem fahlen Schein fand ich einen tiefen Fauteuil. Ich war todmüde, und mein Kopf schmerzte zum Zerspringen. Ich streifte die Schuhe ab, zog die Füße hoch und versuchte zu schlafen. Die Kammerfrauen schienen endlich aufgehört zu haben, einzupacken. Es war ganz still. – Plötzlich fuhr ich auf. Jemand betrat den Raum. Der Schein einer Kerze glitt an den Wänden entlang. Sporen klirrten leise. Die Kerze wurde auf den Kamin gestellt. Ich versuchte, über die hohe Lehne des Fauteuils zum Kamin zu blicken. Wer trat, ohne anzuklopfen, in den Salon neben dem Schlafzimmer der Kaiserin? Er. Natürlich – er. Er stand vor dem Kamin, und seine Blicke schweiften aufmerksam durch den Raum. Unwillkürlich bewegte ich mich. Sofort wandte er sein Gesicht meinem Fauteuil zu: »Ist jemand hier?« »Ich bin es nur, Sire.« »Wer ist ›ich‹?« Es klang wütend. »Die Fürstin von Ponte Corvo«, stammelte ich und versuchte meine Beine unter mir hervorzuziehen, um mich aufzusetzen und meine Schuhe zu finden. Aber meine Füße waren eingeschlafen und prickelten abscheulich. »Die Fürstin von Ponte Corvo?« Ungläubig trat er näher. »Verzeihung, Majestät – meine Füße sind unter mir eingeschlafen – ich kann auch meine Schuhe nichtfinden, einen Augenblick bitte –«, stammelte ich, fand endlich meine Schuhe, stand auf und versank im zeremoniellen Hofknicks. »Sagen Sie einmal, Fürstin, was machen Sie eigentlich hier um diese Stunde?«, fragte Napoleon. »Das frage ich mich auch, Sire«, bekannte ich und rieb mir die Augen. Er nahm meine Hand, und ich richtete mich schlaftrunken auf. »Ihre Majestät hat mich gebeten, ihr heute Nacht Gesellschaft zu leisten. Majestät ist endlich eingeschlafen«, murmelte ich. Und weil er nichts sagte und ich das Gefühl hatte, ihn zu ärgern, fügte ich hinzu: »Ich möchte mich gern zurückziehen, um Eure Majestät nicht zu stören. Wenn ich nur wüsste, wohin man sich von diesem Salon zurückziehen kann. Ich möchte die Kaiserin nicht aufwecken.« »Du störst mich nicht, Eugénie, setz dich nur wieder hin!« Es war heller geworden. Ein grauer, fahler Schein umfasste nun alle Möbel, alle Bilder, die blass gestreiften Seidentapeten. Ich setzte mich wieder und versuchte verzweifelt, richtig wach zu werden. »Ich konnte nämlich nicht schlafen«, sagte er unvermittelt. »Ich wollte von diesem Salon Abschied nehmen, morgen – heute früh kommen die Handwerker.« Ich nickte. Es war sehr peinlich, dass ich bei diesem Abschiednehmen dabei sein sollte … »Schau, das ist sie! Findest du sie nicht schön, Eugénie?« Er hielt mir eine Tabakdose hin, auf die ein Porträt gemalt war, besann sich dann, ging schnell zum Kamin zurück, holte seinen Leuchter und hielt das Porträt in den gelb flackernden Schein. Es war ein rundes Jungmädchengesicht mit porzellanblauen Augen und sehr rosa Wangen. Überhaupt ein sehr rosa Gesicht. »Ich kann so schwer diese Tabakdosen-Miniaturen beurteilen«, sagte ich. »Ich finde, sie sehen alle gleich aus.« »Marie-Luise von Österreich ist sehr schön, sagt man.« Er öffnete die Dose, hielt den Tabak an die Nase, atmete ihn tief ein, presste dann sein Taschentuch vor das Gesicht, eine sehr elegante und wohleinstudierte Art des Schnupfens. Taschentuch und Porträt verschwanden wieder in der Hosentasche. Er sah mich durchdringend an: »Ich verstehe noch immer nicht, wie Sie hierher kommen, Fürstin.« Da er sich nicht setzte, wollte ich wieder aufstehen. Er drückte mich in den Fauteuil zurück. »Du bist ja todmüde, Eugénie, das sehe ich dir an. Was machst du eigentlich hier?« »Die Kaiserin wollte mich sehen. Ich erinnerte Ihre Majestät –« Ich schluckte, es war so peinlich, das alles zu sagen. »Also, ich erinnerte Majestät an den Nachmittag, an dem sie
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