Désirée
»Ja, nur Sie, Madame. Alles andere vergaß er, als er Sie kennen lernte. Mich zum Beispiel. Madame erinnern sich?« Ein amüsiertes Lächeln huschte um ihren Mund: »Sie haben ein Champagnerglas nach mir geworfen, die Flecken konnten nicht entfernt werden, es war ein Kleid aus durchsichtigem Musselin, weiß mit roten Tönen … Und ich habe Sie damals sehr unglücklich gemacht, kleine Désirée. Verzeihen Sie mir, es war nicht absichtlich!« Ich streichelte ihre Hand, ließ sie von vergangenen Tagen sprechen. Wie alt war sie damals? Ungefähr so alt wie ich heute. »Mama, du wirst dich in Malmaison so wohl fühlen. Du hast doch Malmaison immer als dein wirkliches Zuhause betrachtet«, kam es von Hortense. Josephine zuckte zusammen. Wer zerriss ihreErinnerungen? Ach so, ihre Tochter. »Hortense bleibt in den Tuilerien«, sagte Josephine und suchte meine Augen. Das amüsierte Lächeln war verlöscht, sie sah alt und müde aus. »Hortense hofft immer, dass Bonaparte einen ihrer Söhne zum Nachfolger bestimmen wird. Ich hätte nie zustimmen sollen, dass man sie mit seinem Bruder verheiratet. Das Kind hat so wenig vom Leben – einen Mann, den sie hasst, und einen Stiefvater –« – den sie liebt, wollte Josephine sagen. Es kam nicht dazu. Mit einem heiseren Schrei stürzte sich Hortense auf das breite Bett. Ich stieß sie zurück. Wollte sie ihre Mutter schlagen? Hortense begann hilflos zu schluchzen. So geht das nicht weiter, jetzt beginnt Hortenses Weinkrampf, und die Kaiserin wird gleich wieder zu schreien anfangen, dachte ich. »Hortense, stehen Sie sofort auf und nehmen Sie sich zusammen!« Ich hatte zwar der Königin von Holland nichts zu befehlen, aber die Königin gehorchte sofort. »Ihre Mutter muss jetzt ruhen. Und Sie auch. Wann begibt sich Ihre Majestät nach Malmaison?« »Bonaparte wünscht, dass ich frühmorgens abfahre«, flüsterte Josephine. »Er hat schon die Handwerker bestellt, damit meine Zimmer –« Der Rest des Satzes ging in haltlosem Weinen unter. Ich wandte mich an Hortense. »Hat Dr. Corvisart kein Schlafmittel für Ihre Majestät hier gelassen?« – »Natürlich. Aber Mama will nichts nehmen. Mama fürchtet, man will sie vergiften.« Ich sah Josephine an. Sie lag wieder auf dem Rücken und ließ die Tränen über das geschwollene Gesicht fließen. »Er hat doch immer gewusst, dass ich kein Kind mehr bekommen kann«, murmelte sie. »Ich habe es ihm gesagt. Weil ich einmal eines erwartet habe und Barras –« Sie brach ab und schrie plötzlich auf: »Und dieser Stümper von einem Arzt, zu dem mich Barras schleppte, hat mich zerstört. Zerstört, zerstört …«
»Hortense, bitten Sie sofort eine Kammerfrau, eineTasse heißen Tee zu bringen. Und dann begeben Sie sich selbst zur Ruhe. Ich bleibe hier, bis Ihre Majestät eingeschlafen ist. Wo ist das Schlafmittel?« Hortense kramte zwischen den Flakons und Cremetiegeln auf dem Toilettentisch und reichte mir schließlich ein Fläschchen. »Fünf Tropfen, hat Dr. Corvisart gesagt.« – »Danke. Und gute Nacht, Madame.« Dann zog ich Josephine ihr weißes, zerknittertes Kleid aus, löste die goldenen Sandalen von den kleinen Füßen, legte eine Bettdecke über sie. Eine Kammerfrau brachte Tee. Ich nahm ihr die Tasse aus der Hand und wies sie sofort hinaus. Dann schüttete ich sorgsam den Inhalt des Fläschchens in den Tee. Es waren sechs Tropfen, umso besser, dachte ich. Josephine setzte sich gehorsam auf und trank in durstigen, hastigen Schlucken. »Es schmeckt wie alles in meinem Leben – sehr süß mit einem bitteren Nachgeschmack«, lächelte sie und erinnerte plötzlich an jene Josephine, die ich bisher gekannt hatte. Dann ließ sie sich in die Kissen zurückfallen. »Sie waren heute Vormittag nicht beim – nicht beim Staatsakt«, murmelte sie müde. »Nein, ich dachte, es wäre Ihnen lieber.«
»Es war mir lieber.« Eine kleine Pause entstand. Sie atmete regelmäßiger.
»Sie und Lucien sind die einzigen der Bonapartes, die nicht dabei waren.«
»Ich bin doch keine Bonaparte«, bemerkte ich. »Meine Schwester Julie ist mit Joseph verheiratet. Weiter reicht die Verwandtschaft wirklich nicht.«
»Verlassen Sie ihn nicht, Désirée!«
»Wen, Majestät?«
»Bonaparte.« Die Tropfen schienen sie etwas zu verwirren. Aber sie wirkten beruhigend. Ich streichelte ihre Hand, gleichmäßig und ohne nachzudenken, streichelte eine Hand mit aufgeschwollenen Adern, die Hand einer zarten, alternden Frau … »Wenn er seine Macht verliert –und
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