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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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auf. »Hoheit schießen scharf«, konstatierte er anerkennend und warf den Ball zurück. Der Ball landete in meinen gelben Rosen. Große, herbstlich müde Rosen mit etwas verwelkten Blättern. Ich kenne jede einzelne und liebe sie seit mehreren Tagen. »Mama wird sich schrecklich ärgern«, sagte Oscar und sah ängstlich zu meinen Fenstern hinauf. »Mama! Ausgeschlafen?« Der junge Graf Brahe verneigte sich. »Ich möchte gern mit Ihnen sprechen, Graf Brahe. Haben Sie Zeit?«
    »Wir haben eine Scheibe im Speisezimmer eingeschlagen, Hoheit«, gestand er schnell. »Ich hoffe, der schwedische Staat wird für die Reparatur aufkommen«, lachte ich. Graf Brahe schlug die Hacken zusammen. »Melde gehorsamst, der schwedische Staat ist beinahe bankrott!«
    »Sehen Sie, das habe ich mir gedacht«, entfuhr es mir unwillkürlich. »Warten Sie, ich komme in den Garten!« Dann saß ich zwischen dem jungen Grafen und Oscar auf der kleinen weißen Bank vor dem Spalierobst. Die weiche Septembersonne streichelte mich. Ich fühlte mich plötzlich viel wohler. Oscar fragte: »Kannst du nicht später mit dem Grafen sprechen, Mama? Wir haben gerade so schön gespielt.« – Ich schüttelte den Kopf: »Nein. Ich möchte, dass du gut zuhörst.«
    Aus dem Hause drangen Männerstimmen. Jean-Baptistes Stimme klang entschieden und sehr laut. »Feldmarschall Graf von Essen und die Mitglieder seiner Botschaft reisen noch heute nach Schweden zurück, um die Antwort Seiner Königlichen Hoheit zu überbringen«, sagte Graf Brahe. »Mörner bleibt hier. Seine Königliche Hoheit hat ihn zu seinem Personaladjutanten ernannt. Wir haben natürlich bereits einen Kurier nach Stockholm geschickt.«Ich nickte. Suchte verzweifelt nach einem Anfang für meine Fragen. Fand keinen geeigneten und platzte deshalb los: »Bitte, sagen Sie mir aufrichtig, lieber Graf, wie kommt es, dass Schweden gerade meinem Mann die Krone anträgt?«
    »Seine Majestät, König Carl XIII., ist kinderlos, und man bewundert in unseren Ländern seit Jahren die geniale Verwaltung, die großen Fähigkeiten Seiner Königlichen Hoheit –« Ich unterbrach ihn. »Man hat mir erzählt, dass man einen König abgesetzt hat, weil man glaubt, dass er verrückt ist. Ist er wirklich verrückt?« Graf Brahe richtete den Blick auf ein verwelktes Blatt des Pfirsichspaliers und sagte: »Wir nehmen es an.« »Warum?«
    »Sein Vater, König Gustaf III., war schon sehr – ja, sehr merkwürdig. Er wollte Schwedens alte Großmachtstellung wieder herstellen und griff Russland an. Der Adel und alle Offiziere waren dagegen. Und um dem Adel zu zeigen, dass der König allein über Krieg und Frieden entscheiden kann, wandte er sich an die – ja, also an die niederen Stände und –« »An wen?«
    »An die Gewerbetreibenden, die Handwerker, die Bauern – mit einem Wort, an die Bürgerlichen.«
    »Er wandte sich an die Bürgerlichen. Was geschah weiter?«
    »Ja, der Reichstag, in dem sich nur der dritte und vierte Stand vertreten ließ, übertrug ihm weite Befugnisse, und der König marschierte wieder gegen Russland. Gleichzeitig war Schweden furchtbar verschuldet und konnte für dieses ewige Aufrüsten nicht aufkommen. Deshalb beschloss der Adel, einzugreifen und –« Graf Brahe wurde lebhaft: »– und dann geschah etwas furchtbar Interessantes. Der König wurde auf einem Maskenball plötzlich von lauter schwarzen Masken umringt und erschossen. Er brach tödlich verwundet zusammen, und der Feldmarschall von Essen –« Brahe machte ein Bewegung in dieRichtung des Stimmengemurmels, das aus dem Haus drang – »Ja, der treue Essen fing ihn in seinen Armen auf. Nach seinem Tod übernahm sein Bruder, unser jetziger König, die Regentschaft. Als der junge Gustaf IV. mündig wurde, bestieg er den Thron. Leider stellte sich heraus, dass Gustaf wahnsinnig ist …« »Das ist also der König, der sich einbildet, Gottes Werkzeug zu sein, um den Kaiser der Franzosen zu vernichten?«
    Graf Brahe nickte und betrachtete zusammengekniffen das verwelkte Blatt. »Warum hat er die Ermordung seines Papas nicht gerächt?«, wollte Oscar wissen. »Dass man sich nicht an seinem eigenen Adel rächen kann, weiß sogar ein Wahnsinniger«, murmelte Brahe zerstreut.
    »Erzählen Sie Ihre Schauergeschichte weiter, Graf Brahe«, sagte ich. Er sah mich an, als ob ich einen Scherz gemacht hätte. Schauergeschichte? Aber ich lächelte nicht. Da zögerte er. »Bitte erzählen Sie weiter!«
    »Gustav IV. glaubte zwischen den Zeilen der Bibel

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