Désirée
Stimme klang seidenweich: »Es ist sehr bedauerlich für das schwedische Volk und vor allem für den von diesem Volk erwählten Thronfolger, dass Sie nicht wissen, wie sich eine Kronprinzessin benimmt, Madame.« Die Königin trank sehr langsam einen Schluck Tee und sah mich ununterbrochen über den Rand ihrer Tasse an. »Deshalb will ich Ihnen sagen, meine liebe Tochter, wie sich eine Kronprinzessin zu benehmen hat.« Alles vergeblich, dachte ich, der Anstandsunterricht des Herrn Montel, dieKlavierstunden, meine graziösen, so mühsam einstudierten Handbewegungen. Und vergeblich auch, dass ich mich auf allen Hoffesten in Stockholm ganz still verhalte, um Jean-Baptiste nicht wieder durch einen unüberlegten Ausruf zu blamieren. Vergeblich, alles vergeblich …
»Eine Kronprinzessin unternimmt niemals ohne Begleitung einer Hofdame eine Ausfahrt in Gesellschaft eines Adjutanten ihres Gatten.« Mein Gott, meinte sie – Villatte? »Ich – ich kenne doch Oberst Villatte seit vielen Jahren, er ist schon in Sceaux zu uns gekommen, wir plaudern gern von alten Zeiten«, sagte ich mühsam. »Bei Hoffesten bemüht sich die Kronprinzessin huldvoll, alle Anwesenden ins Gespräch zu ziehen. Sie jedoch stehen linkisch und beinahe taubstumm herum, Madame!«
»Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen«, entfuhr es mir. Die jungfräuliche Ziege meckerte grell. Die blassen Augen der Königin weiteten sich überrascht. Ich sagte schnell: »Der Ausspruch stammt nicht von mir, sondern von einem unserer – von einem französischen Diplomaten, dem Grafen Talleyrand, Fürst von Benevent. Vielleicht haben Majestät –«
»Ich weiß selbstverständlich, wer Talleyrand ist«, sagte die Königin scharf. »Madame, wenn man nicht sehr klug und auch nicht sehr gebildet ist und gleichzeitig seine Gedanken verbergen muss, dann kann man nicht das Mittel der Sprache verwenden. Deshalb bin ich gezwungen – zu schweigen.« Eine Teetasse klirrte. Die Königinwitwe hatte ihre Tasse niedergesetzt, ihre Hand zitterte plötzlich. »Sie müssen sich zwingen, Konversation zu machen, Madame«, sagte die Königin. »Und außerdem, ich wüsste nicht, welche Gedanken Sie vor Ihren schwedischen Freunden und künftigen Untertanen verbergen sollten!« Ich faltete die Hände im Schoß, ließ sie reden, alles geht vorüber, auch diese Teestunde … »Einer meiner Lakaienmeldet mir, dass ihre Kammerfrau ihn nach dem Laden eines gewissen Persson gefragt hat. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie bei dieser Firma keinerlei Einkäufe tätigen können.« Ich hob den Kopf: »Warum nicht?« »Dieser gewisse Persson ist nicht Hoflieferant und wird es auch nicht werden. Ich habe mich, durch Ihre Nachfrage dazu bewogen, nach ihm erkundigt, Madame. Er gilt als – nun, sagen wir als Anhänger gewisser revolutionärer Ideen.« Meine Augen wurden rund: »Persson?«
»Dieser gewisse Persson hat sich zur Zeit der Französischen Revolution in Frankreich aufgehalten. Angeblich, um den Seidenhandel zu erlernen. Seit seiner Rückkehr umgibt er sich gern mit Studenten, Schriftstellern und anderen Wirrköpfen und verbreitet jene Ideen, die seinerzeit der französischen Nation zum Unglück geworden sind.« Was meint sie eigentlich …? »Ich begreife nicht recht, Madame. Persson war damals bei uns in Marseille, er hat bei Papa im Geschäft gearbeitet, abends habe ich ihm oft Französischunterricht gegeben, wir haben die Menschenrechte auswendig gelernt –«
»Madame!« Es klang wie eine Ohrfeige. »Ich bitte Sie inständig, dies zu vergessen. Es ist ausgeschlossen, dass ein gewisser Persson jemals bei Ihnen Unterricht genommen oder –« Sie atmete schwer. »Ja, oder auch nur jemals mit Ihrem Vater etwas zu tun hatte.«
»Madame, Papa war ein sehr angesehener Seidenhändler, und die Firma Clary ist auch heute noch ein sehr solides Geschäft!« »Ich bitte Sie, das alles zu vergessen, Madame, Sie sind Kronprinzessin von Schweden!« Eine sehr lange Stille folgte. Ich sah in meine Hände. Versuchte nachzudenken. Aber meine Gedanken verwirrten sich. Nur meine Gefühle wurden klar. »Jag er Kronprinsessan…«, murmelte ich auf schwedisch. Fügte ungeschickt hinzu: »Ich habe begonnen, Schwedisch zu lernen. Ichwollte mir Mühe geben. Aber es ist scheinbar nicht genug …« Keine Antwort. Da sah ich auf: »Madame, hätten Sie Seine Majestät dazu bewogen, Jean-Baptiste zum Regenten zu ernennen, wenn – wenn ich nicht dadurch zur Gattin des
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