Désirée
mich zu. Seine Stimme war heiser vor Aufregung. »Es geht um die Existenz. Um Europas Existenz nämlich. Napoleons System kracht in allen Fugen. Im Süden hat er längst keine Ruhe mehr. In Deutschland rotten sich seine Gegner heimlich zusammen, täglich beinahe wird auf französische Soldaten aus dem Hinterhalt geschossen, und im Norden –«, er brach ab und kautean der Unterlippe. »Da sich Napoleon nicht mehr auf den Zaren verlassen kann, wird er Russland überfallen. Verstehst du, was das heißt?«
»Er hat so viele Länder überfallen und so viele Länder unterworfen«, sagte ich achselzuckend. »Wir kennen ihn doch.« Jean-Baptiste nickte. »Ja, wir kennen ihn. Besser als irgendein anderer kennt ihn der schwedische Kronprinz. Und deshalb wird sich der Zar aller Reußen in seiner Schicksalsstunde beim schwedischen Kronprinzen Rat holen.« Jean-Baptiste schöpfte tief Atem. »Und wenn sich die unterworfenen Länder unter Russlands und Englands Führung zu einer neuen Koalition zusammenschließen, wird man an Schweden herantreten. Dann muss sich Schweden entscheiden – für Napoleon oder gegen ihn.« – »Gegen ihn? Das – das würde bedeuten, dass du gegen Frankreich –?« Ich sprach den Satz nicht zu Ende. »Nein, Napoleon und Frankreich sind nicht dasselbe. Schon lange nicht mehr. Nicht seit den Tagen des Brumaire, die weder er noch ich vergessen haben. Deshalb sammelt er auch Truppen an der Grenze von Schwedisch-Pommern. Wenn er den russischen Krieg gewinnt, wird er Schweden einfach niedertrampeln und einen seiner Brüder auf den Königsthron setzen. Aber während des russischen Krieges möchte er mich gern zur Seite haben. Momentan versucht er, mich zu kaufen. Bietet mir ununterbrochen Finnland an, will mit dem Zaren darüber sprechen. Schließlich ist der Zar nach außen hin noch immer sein Verbündeter.«
»Aber du sagst doch, dass der Zar Finnland nie hergeben wird!« »Natürlich nicht. Die Schweden können sich nur nicht an den Gedanken gewöhnen. Aber ich werde ihnen Ersatz für Finnland verschaffen.« Er lächelte plötzlich. »Wenn nämlich Napoleon geschlagen ist, wenn es in Europa zum großen Aufräumen kommt, dann wird Napoleons treuester Verbündeter einen Preis bezahlenmüssen. Dänemark nämlich. Dänemark wird dann auf Vorschlag des Zaren auf Norwegen verzichten, und Norwegen wird mit Schweden vereinigt werden. Und das, mein kleines Mädchen, steht nicht in den Sternen, sondern auf der Landkarte geschrieben.« »Napoleon ist noch nicht geschlagen«, sagte ich. »Außerdem behauptest du fortwährend, dass es um Schwedens Schicksal geht, und kannst nicht einsehen, dass ich schon deshalb nach Paris zurückfahren muss.« Jean-Baptiste seufzte. »Wenn du wüsstest, wie müde ich bin, so würdest du nicht so eigensinnig auf diesem Thema beharren. Ich kann dich nicht reisen lassen. Du bist hier Kronprinzessin. Schluss, keine Widerrede!« »Hier kann ich nur Schaden anrichten und in Paris sehr viel nützen – ich habe alles genau durchdacht.« »Sei nicht kindisch, willst du vielleicht beim Kaiser für mich spionieren? Ich habe meine Spione in Paris, verlass dich darauf! Ich könnte dir erzählen, dass unser alter Talleyrand nicht nur heimlich mit den Bourbonen korrespondiert, sondern auch mit mir. Und der in Ungnade gefallene Fouché –«
Jetzt unterbrach ich ihn. »Ich will doch nicht spionieren, Jean-Baptiste. Weißt du nicht, was geschehen wird, wenn das – wie nennst du es? – das große Aufräumen kommt? Alle Länder, denen Napoleon ihre Selbständigkeit genommen hat, werden die Bonaparte-Könige verjagen. Aber Frankreich ist Republik gewesen, bevor sich Napoleon krönen ließ, so viel Blut ist um dieser Republik willen geflossen. Du sagst, dass Talleyrand heimlich mit den Bourbonen korrespondiert? Man kann Frankreich doch nicht zwingen, die Bourbonen zurückzurufen!« Jean-Baptiste zuckte die Achseln. »Verlass dich darauf, die alten Dynastien halten zusammen und werden es versuchen. Aber was hat das mit uns zu tun, mit dir und mir?« »Dann werden die alten Dynastien auch versuchen, den ehemaligen Jakobinergeneral Bernadotte von derschwedischen Thronfolge auszuschließen. Und wer wird dann zu dir halten?« »Ich kann nicht mehr tun, als mit allen meinen Kräften den Interessen Schwedens zu dienen. Jeden Franc, den ich Zeit meines Lebens aufgespart habe, werfe ich in dieses Land, um es hochzubringen. Keine Sekunde lang denke ich an mich oder meine Vergangenheit, sondern nur an eine
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