Désirée
Regenten geworden wäre?« »Möglich.« »Nehmen Sie noch eine Tasse Tee, Madame?« Das war die meckernde Ziege. Ich schüttelte den Kopf. »Ich möchte hören, dass Sie über meine Worte nachdenken und sich danach richten werden, liebe Tochter«, sagte die kalte Stimme der Königin. »Ich denke gerade darüber nach.« »Sie dürfen keinen Augenblick die Stellung unseres lieben Sohnes, des Kronprinzen, vergessen, Madame«, schloss die Königin. Da riss mir die Geduld: »Majestät haben mir soeben vorgeworfen, dass ich nicht vergessen kann, wer und was mein verstorbener Papa war. Jetzt ermahnen Sie mich, die Stellung meines Mannes nicht zu vergessen. Ich bitte ein für alle Mal zur Kenntnis zu nehmen – ich vergesse nichts und niemanden!« Ohne ein Zeichen der Königin abzuwarten, stand ich auf. Zum Teufel mit der Etikette. Die drei Damen saßen womöglich noch steifer. Ich verneigte mich tief. »In meiner Heimat, in Marseille, blühen jetzt schon die Mimosen, Madame. Wenn es etwas wärmer wird, reise ich nach Frankreich zurück.« Das wirkte. Alle drei fuhren auf. Die Königin starrte mich erschrocken an, die alte Ziege ungläubig, und sogar das Gesicht der Königinwitwe wirkte überrascht. »Sie reisen – zurück?«, formte die Königin. »Wann haben Sie sich dazu entschlossen, liebe Tochter?« »In diesem Augenblick, Majestät.« »Es ist politisch unklug, bestimmt unklug. Sie müssen mit meinem lieben Sohn, dem Kronprinzen, darüber sprechen«, sagte sie hastig. »Ich unternehme nichts ohne die Zustimmung meines Mannes.«
»Und wo werden Sie in Paris wohnen, Madame? Sie haben doch dort kein Palais!«, ließ sich die Ziege aufgeregtvernehmen. »Ich habe dort niemals eines gehabt. Und unser Heim in der Rue d’Anjou haben wir behalten, ein gewöhnliches Wohnhaus, kein Schloss. Aber sehr hübsch eingerichtet«, erklärte ich ihr und fügte schnell hinzu: »Ich brauche doch kein Schloss, ich bin gar nicht gewöhnt, in Schlössern zu wohnen. Ich – hasse sogar Schlösser, Madame!« Die Königin hatte ihre Fassung wiedergewonnen. »Ihr Landsitz in der Nähe von Paris wäre vielleicht ein würdigerer Aufenthalt für die Kronprinzessin von Schweden.« »La Grange? Wir haben doch La Grange und alle anderen Güter verkauft, um Schwedens Auslandsschulden zu bezahlen. Es waren große Schulden, Madame!« Sie biss sich auf die Lippen. Dann schnell: »Nein, das geht nicht. Kronprinzessin Desideria von Schweden in einem gewöhnlichen Pariser Wohnhaus! Und außerdem –« »Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen. Übrigens habe ich nicht die Absicht, unter dem Namen Desideria von Schweden zu reisen.« Ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Nur jetzt nicht weinen, nur den dreien nicht diese Freude machen! Ich warf den Kopf zurück: »Desideria – die Erwünschte! Ich bitte Majestät, sich den Kopf über ein Inkognito für mich zu zerbrechen. Darf ich mich jetzt zurückziehen?« Und ich knallte hinter mir die Türe zu, dass es nur so durch die Marmorgänge hallte. Wie einst in Rom. Im ersten Schloss, in das mich das Schicksal verschlug … Vom Salon der Königin ging ich geradewegs in Jean-Baptistes Arbeitszimmer. Im Vorraum vertrat mir einer der Kammerherren den Weg. »Darf ich Königliche Hoheit anmelden?« »Nein, danke. Ich bin gewohnt, ohne vorherige Anmeldung in die Zimmer meines Mannes zu treten.« »Ich bin aber gezwungen, Hoheit anzumelden«, beharrte der Kammerherr. »Wer zwingt Sie dazu? Vielleicht Seine Königliche Hoheit?« »Die Etikette, Hoheit. Seit Jahrhunderten –« Ich schob ihn zur Seite. Erfuhr bei meiner Berührung zusammen, als ob ich ihn gestochen hätte. Da musste ich lachen: »Machen Sie sich nichts daraus, Baron, ich werde Sie nicht mehr oft an der Einhaltung der Etikette hindern!« Dann trat ich in Jean-Baptistes Arbeitszimmer. Jean-Baptiste saß an seinem Schreibtisch, studierte Aktenstücke und hörte gleichzeitig dem Kanzler Wetterstedt und zwei anderen Herren zu. Ein grüner Augenschirm hüllte die obere Hälfte seines Gesichts in Schatten. Ich wusste längst von Fernand, wie sehr er an Augenschmerzen litt, weil er hier durch den frühen Einbruch der Dunkelheit gezwungen ist, fast ausschließlich bei künstlichem Licht zu lesen. Gegenwärtig arbeitet er täglich von halb zehn Uhr früh bis drei Uhr nachts, und seine Augen sind stark entzündet. Den grünen Augenschirm kennen aber nur die Herren seiner allernächsten Umgebung, sogar mir wird er verheimlicht, damit ich mir
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