Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
Vom Netzwerk:
Schicksal würde an den Beschlüssen der schwedischen Regierung nichts ändern. Aber meine Gefangennahme würde den Schweden beweisen, dass ich bereit bin, für mein neues Vaterland zu – leiden. Wollen Sie wirklich eine Märtyrerin aus mir machen, Sire?« Der Kaiser biss sich auf die Lippen. Manchmal findet auch eine blinde Henne ein Korn! Napoleon will Madame Bernadotte bestimmt nicht in eine schwedische Nationalheldin verwandeln … Er zuckte die Achseln. »Wir zwingen niemandem unsere Freundschaft auf. Man pflegt sich um unsere Freundschaft zu bewerben.« Es war drei Minuten vor Mitternacht. »Ich erwarte, dass Sie Ihrem Gatten zureden werden, sich um unsereFreundschaft zu bewerben.« Er legte die Hand auf die Türklinke. »Schon in Ihrem eigenen Interesse, Madame.« Seine Augen schillerten boshaft. Ich sah ihn fragend an. In diesem Augenblick dröhnten die Glocken. In ihrem Klang ertrank meine Frage und seine Antwort. Napoleon ließ unwillkürlich die Türklinke los. Wie gebannt starrte er vor sich hin. Die Glocken von Paris läuteten das neue Jahr ein. Diese Glocken, dachte ich, wie ich diese dunklen Glocken liebe … »Ein großes Jahr in der Geschichte Frankreichs ist angebrochen«, murmelte Napoleon, als sie verstummten. Ich drückte die Türklinke nieder. Im großen Arbeitszimmer warteten Adjutanten und Kammerherren. »Wir müssen uns beeilen, Ihre Majestät erwartet uns«, sagte Napoleon hastig und begann zu laufen. Sporenklirrend jagten ihm seine Adjutanten und Kammerherren nach. Langsam wanderte ich neben Meneval durch die ausgestorbenen Räume. »Haben Sie den Befehl abgeschickt?«, fragte ich. Er nickte. »Der Kaiser bricht die Neutralität eines Staates. Die erste Handlung im neuen Jahr«, konstatierte ich. »Nein, die letzte im alten Jahr, Hoheit«, berichtigte Meneval. Als ich den Salon der Kaiserin wieder betrat, sah ich zum ersten Mal den kleinen König von Rom. Der Kaiser hielt ihn auf dem Arm, und der Kleine schrie zum Steinerbarmen. Der Säugling trug ein Spitzenhemd und eine breite Ordensschärpe. »Ordensschärpen statt Windeln, ich muss schon sagen…«, klagte Madame Letitia. Der Kaiser wollte seinen schreienden Sohn aufheitern und kitzelte ihn zärtlich. Aber die fremden Diplomaten und die Hofuniformen, die durcheinander kichernden Damen und die Mitglieder der Familie Bonaparte, die alle den Kleinen gleichzeitig streicheln wollten, erschreckten das arme Kind immer mehr. Marie-Luise stand neben dem Kaiser und betrachtete unverwandt das Kind. Ihre Augen waren nicht mehr ausdruckslos, sondern ehrlich erstaunt. Es war,als ob sie nicht fassen konnte, dass sie es war, die Napoleon ein Kind geboren hatte. Als mich Napoleon sah, trat er mit dem schreienden Säugling auf mich zu. Das fleischige Gesicht strahlte. »Sie müssen aufhören zu weinen, Sire, ein König weint nicht«, redete er dem Kleinen zu. Unwillkürlich streckte ich die Arme aus und nahm ihm das Kind ab. Madame von Montesquieu, die vornehme Kinderfrau, war sofort an meiner Seite. Aber ich hielt das Kind fest. Unter dem Spitzenhemdchen war es recht feucht. Ich kraulte die blonden Härchen im Nacken, der Kleine hörte zu weinen auf und sah mich scheu an. Ich presste ihn dicht an mich, Oscar, dachte ich, Oscar trinkt jetzt Champagner in den Salons der Königin, Skal – artig stößt er mit den Majestäten an, dann mit der mageren Ziege Prinzessin Sofia Albertina, zuletzt mit der Königinwitwe. Die Koskull trillert eine Arie. Jean-Baptiste wird in ein paar Tagen wissen, dass Davout in Schwedisch-Pommern einmarschiert ist, die Koskull trillert … Ich küsste die seidenen blonden Härchen. »Auf das Wohl Seiner Majestät, des Königs von Rom!«, rief jemand. Man leerte die Champagnergläser. Ich reichte den Kleinen seiner Pflegerin »Er ist sehr feucht«, flüsterte ich ihr zu. Man trug das Kind hinaus. Der Kaiser und die Kaiserin waren in bester Stimmung und plauderten – wie nannte es nur die schwedische Königin? – ja, huldvoll. Sie plauderten ausgesprochen huldvoll. Mein Blick fiel auf Hortense. Vor zwei Monaten hat sie einen Sohn geboren, obwohl sie seit Jahren getrennt von Louis Napoleon lebt. Auf ihren Wangen brannten rote Flecken, ihre Augen glänzten, sie lehnte sich dicht an ihren Hofstallmeister, den Grafen Flahault. Nun hat ihr Leben den letzten Sinn verloren, ihre Söhne werden Napoleon nicht beerben. Der Kaiser übersah wie immer seine Stieftochter. Ein Graf Flahault, warum nicht? »Hoheit werden sehen, der Kronprinz

Weitere Kostenlose Bücher